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Lovesong

Titel: Lovesong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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darstellte, doch statt sich über ihr Cello zu beugen, schien ihr Körper sich nun auszuweiten, aufzublühen, und wie eine Kletterpflanze schien die Musik sich um sie zu ranken und den weiten Raum um sie herum auszufüllen. Ihre Bogenstriche waren plötzlich großzügig und glücklich und gewagt, und der Klang, der das Auditorium nun erfüllte, schien diese reinen Gefühle in eine bestimmte Bahn zu lenken, fast so, als würden sich die Gedanken des Komponisten spiralförmig im Raum ausbreiten. Und der Ausdruck auf ihrem Gesicht – die Augen nach oben gerichtet, während ein leises Lächeln ihre Lippen umspielte. Ich weiß nicht, wie ich es am besten beschreiben kann, ohne dass es gleich wie ein Zitat aus einem dieser klischeetriefenden Artikel klingt, die man in Zeitschriften immer so liest, aber doch: Sie schien so eins mit der Musik. Vielleicht aber auch einfach nur glücklich. Ich schätze, mir war schon immer klar gewesen, dass sie zu einer Kunst auf solch hohem Niveau fähig war, doch dass ich nun Zeuge dessen werden durfte, haute mich schier um. Mich und alle anderen Anwesenden in diesem Auditorium, wie ich aus dem donnernden Applaus schloss, den man ihr entgegenbrachte.
    Volle Beleuchtung im Saal; grell wird das Licht von den hellen Holzsitzen und der geometrischen Wandvertäfelung reflektiert, sodass der Boden vor meinen Augen zu schwimmen beginnt. Ich lasse mich auf den nächsten Sitz sinken und versuche, nicht über das Dvorˇák-Stück nachzudenken – und auch nicht über alles andere: Wie sie sich zwischen den Stücken die Hand am Rock abwischte, wie sie im Takt mit einem unsichtbaren Orchester den Kopf wippen ließ, all diese unscheinbaren Gesten, die mir nur allzu vertraut sind.
    Ich greife nach der Sitzlehne vor mir, um mich abzustützen, und stehe wieder auf. Ich versichere mich, dass meine Beine auch funktionieren und der Boden sich nicht dreht, ehe ich mich dazu zwinge, einen Fuß vor den anderen zu setzen und in Richtung Ausgang zu gehen. Ich bin total erledigt, ausgelaugt. Alles, was ich jetzt noch tun will, ist ins Hotel zurückfahren, um ein paar von den Ambien hinunterzuspülen, von den Lunesta oder den Xanax oder von irgendetwas, was mein Medizinschränkchen so hergibt – und damit diesem Tag ein Ende zu setzen. Ich will einschlafen und wieder aufwachen, wenn das alles hier vorbei ist.
    »Entschuldigen Sie, Mr Wilde.«
    Normalerweise nehme ich mich in Acht vor geschlossenen Räumen, aber wenn es einen Ort in der ganzen Stadt gibt, an dem ich erwarten würde, garantiert anonym bleiben zu können, dann ist das die Carnegie Hall während eines klassischen Konzerts. Während des Konzerts und die Pause hindurch hat mich niemand auch nur eines Blickes gewürdigt, abgesehen von ein paar älteren Damen, die, wie ich vermute, in erster Linie Anstoß an meinen Jeans nahmen. Der Typ vor mir aber ist ungefähr in meinem Alter; er ist Platzanweiser, die einzige Person in einem Radius von fünfzehn Metern, die unter fünfunddreißig ist, die einzige Person in dieser Location, von der man annehmen könnte, dass sie ein Shooting-Star-Album besitzt.
    Ich greife in meine Tasche, um einen Kugelschreiber rauszuholen, obwohl ich weiß, dass ich sowieso keinen bei mir habe. Der Platzanweiser sieht betreten aus, schüttelt gleichzeitig abwehrend den Kopf und seine Hände. »Nein, nein, Mr Wilde. Ich will doch kein Autogramm.« Er senkt verschwörerisch die Stimme. »Es verstößt eigentlich gegen die Regeln, um ehrlich zu sein … Das könnte mich meinen Job kosten.«
    »Oh«, sage ich und bin ernüchtert und verwirrt zugleich. Eine Sekunde lang denke ich darüber nach, ob ich jetzt einen Anschiss kriegen werde, weil ich nicht angemessen gekleidet bin.
    Doch dann fährt der Platzanweiser fort: »Miss Hall möchte, dass Sie zu ihr in den Backstage-Bereich kommen.«
    Nach dem Ende der Show herrscht ein ziemlicher Lärmpegel; für einen Augenblick meine ich mich verhört zu haben. Doch noch ehe ich ihn bitten kann, seinen Satz zu wiederholen, führt er mich auch schon am Ellbogen auf eine Treppe zu und runter in die Lobby und von dort durch eine schmale Tür gleich neben der Bühne, durch ein Labyrinth von Gängen, deren Wände mit gerahmten Notenblättern tapeziert sind. Und ich lasse mich tatsächlich zu ihr führen. Fast ist es wie damals, als ich zehn war und ins Büro des Schuldirektors musste, weil ich während des Unterrichts eine Wasserbombe hatte platzen lassen. Damals war mir nichts anderes übrig

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