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Lovesong

Titel: Lovesong Kostenlos Bücher Online Lesen
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geblieben, als Mrs Linden durch die Flure zu folgen und darüber nachzudenken, was mich hinter der Tür des Direktors erwarten würde. Jetzt überkommt mich dasselbe Gefühl wie damals. Dass ich wegen irgendwas Ärger bekommen werde, dass Aldous mir gar nicht wirklich freigegeben hat heute Abend und dass mich nun ein mächtiger Anschiss erwartet, weil ich ein Fotoshooting verpasst oder weil ich einen Journalisten verärgert habe oder einfach, weil ich ein asozialer Eigenbrötler bin, der kurz davor ist, die Band kaputtzumachen.
    Das alles sickert nicht zu mir durch, ich weigere mich, es zu begreifen, ich glaube es nicht und denke auch nicht weiter darüber nach. Bis der Platzanweiser schließlich eine Tür öffnet und mich in einen winzigen Raum führt. Die Tür schließt sich hinter mir, und plötzlich steht sie vor mir. In echt. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, kein Gespenst.
    Seltsamerweise will ich sie nicht sofort packen und küssen oder sie anbrüllen. Alles, was ich will, ist, ihre Wange zu berühren, die von der Vorstellung an diesem Abend immer noch leicht gerötet ist. Ich will die wenigen Schritte, die uns noch trennen – nicht Meilen, nicht Kontinente, nicht Jahre –, schnell hinter mich bringen und ihr mit meinen schwieligen Fingern das Gesicht streicheln. Ich will sie berühren, nur um sicher zu sein, dass es auch wirklich sie ist und nicht wieder einer von diesen Träumen. Träume, die mich ständig überkamen, nachdem sie gegangen war, und in denen ich sie so deutlich vor mir sah, dass ich sie schon an mich ziehen und küssen wollte, nur um dann aufzuwachen und festzustellen, dass Mia für mich unerreichbar war.
    Doch ich kann sie nicht berühren. Denn das ist ein Privileg, das man mir genommen hat. Wenn auch gegen meinen Willen. Da wir gerade von Willen sprechen: Ich muss mich bewusst dazu zwingen, meinen Arm still zu halten, damit das Zittern ihn nicht in einen Presslufthammer verwandelt.
    Der Boden unter meinen Füßen beginnt sich zu drehen, ein weiterer Strudel droht mich zu verschlingen, und am liebsten würde ich mir wieder eine von den Pillen einwerfen, aber ich kann jetzt unmöglich eine rausholen. Deshalb atme ich ein paarmal tief durch, um eine Panikattacke zu verhindern. Ich bewege meine Kiefer in dem verzweifelten Versuch, ein paar Worte hervorzubringen, doch leider vergebens. Ich fühle mich, als befände ich mich allein auf einer Bühne, keine Band, kein Equipment, und ich könnte mich an keinen unserer Songs erinnern, während ich vor einem Millionenpublikum stünde. Und es kommt mir vor, als wären Stunden vergangen, während ich jetzt vor Mia Hall stehe, sprachlos wie ein Neugeborenes.
    Beim ersten Mal, als wir uns an der Highschool trafen, war ich derjenige, der den ersten Satz zu ihr sagte. Damals fragte ich Mia, was das für ein Stück sei, das sie gerade auf ihrem Cello gespielt habe. Eine einfache Frage, mit der alles begann.
    Dieses Mal ist es Mia, die die erste Frage stellt: »Bist du es wirklich?« Und ihre Stimme – sie klingt immer noch wie damals. Keine Ahnung, weshalb ich erwartet habe, sie würde anders klingen. Wahrscheinlich, weil inzwischen alles anders ist.
    Ihre Stimme bringt mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Zurück in die Realität der vergangenen drei Jahre. Da sind so viele Dinge, die gesagt und gefragt werden müssten. Wo warst du? Denkst du hin und wieder an mich? Du hast mein Leben zerstört. Geht es dir gut? Aber selbstverständlich bringe ich keinen dieser Sätze und keine dieser Fragen über die Lippen.
    Ich fühle langsam, wie heftig mein Herz pocht, und bemerke das Pfeifen in den Ohren. Ich werde jeden Moment den Kopf verlieren. Doch seltsamerweise, gerade als die Panik ihren Höhepunkt zu erreichen droht, übernimmt irgendein Überlebensinstinkt die Kontrolle, ebenjener Instinkt, der mir auch hilft, mich auf eine Bühne vor Tausende von wildfremden Menschen zu stellen. Während ich mich in mich selbst zurückziehe und in den Hintergrund trete, um dieser anderen Person in mir die Führung zu überlassen, überkommt mich eine plötzliche Ruhe. »Ja, ich bin es, aus Fleisch und Blut«, erwidere ich. So als wäre es das Normalste der Welt, dass ich bei einem ihrer Konzerte bin und dass sie mich in ihr Allerheiligstes gebeten hat. »Gutes Konzert übrigens«, füge ich noch hinzu, weil man das eben so sagt. Zufällig stimmt es aber auch.
    »Danke«, meint sie. Dann fährt sie kopfschüttelnd fort: »Ich kann einfach nicht glauben, dass du

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