Lovesong
und Kim nur im Zweierpack bekam, die eine nicht ohne die andere kriegte. Wenn man eine verlor, verlor man sie beide. Aber wie hätte es auch anders sein sollen?
Doch nun war Kim auf einmal da. Hatte Mia sie womöglich als ihre Gesandte geschickt? Kim lächelte unsicher und hielt wegen des feuchtkalten Abends ihren Oberkörper mit den Armen umklammert. »Hey«, sagte sie. »Du bist aber schwer zu finden.«
»Ich bin doch da, wo ich immer war«, erwiderte ich und strampelte die Bettdecke weg. Als Kim meine Boxershorts sah, wandte sie sich ab, bis ich mir meine Jeans übergezogen hatte. Ich griff nach einer Packung Zigaretten. Erst vor ein paar Wochen hatte ich zu rauchen angefangen. Alle in der Fabrik rauchten, denn das gab einem wenigstens einen Grund, eine Pause zu machen. Kims Augen weiteten sich überrascht, als hätte ich eine Glock aus der Tasche gezogen. Ich legte die Zigaretten wieder hin, ohne mir eine angezündet zu haben.
»Ich hatte dich eigentlich im House of Rock vermutet, deshalb bin ich erst dorthin. Ich hab Liz und Sarah getroffen. Sie haben mich zum Abendessen eingeladen. War nett, sie wiederzusehen.« Sie hielt inne und sah sich abschätzig in meinem Zimmer um. Die zerwühlten, muffigen Decken, die geschlossenen Jalousien. »Hab ich dich geweckt?«
»Ich arbeite viel, anstrengende Schichten.«
»Ja, hat deine Mom mir schon erzählt. Datenerfassung? « Sie machte sich nicht die Mühe, ihre Verblüffung zu verbergen.
Mir war ganz und gar nicht nach Smalltalk und nach besserwisserischen Kommentaren. »Also, was ist los, Kim, was willst du?«
Sie zuckte mit der Schulter. »Ach, nichts. Ich bin nur kurz in der Stadt. Wir waren an Chanukka alle in Jersey bei meinen Großeltern. Deshalb bin ich jetzt zum ersten Mal wieder hier, und ich dachte, ich schau mal vorbei und sag Hallo.«
Ich drehte mich um und starrte sie an. Sie wirkte nervös. Aber irgendwie schien sie auch besorgt. Da war ein Ausdruck in ihrem Gesicht, den ich nur allzu gut kannte. Ein Ausdruck, der besagte, dass ich jetzt der Patient war. Aus der Ferne durchdrang eine Sirene die abendliche Stille. Instinktiv kratzte ich mich am Kopf.
»Triffst du dich noch mit ihr?«, fragte ich jetzt.
»Wie bitte?« Kims Stimme überschlug sich vor Verwunderung.
Ich starrte sie an. Und ganz langsam wiederholte ich meine Frage. »Triffst du dich noch mit Mia?«
»J… ja, klar«, stammelte Kim. »Na ja, nicht gerade oft. Wir sind beide ziemlich mit der Schule beschäftigt, und zwischen Boston und New York liegen immerhin ganze vier Stunden. Aber ja, klar sehen wir uns gelegentlich.«
Klar. Dieser überzeugte Ton war es, der mir den Rest gab. Er weckte in mir eine mörderische Wut. Ich war wirklich froh, dass sich kein schwerer Gegenstand in meiner Reichweite befand.
»Weiß sie, dass du hier bist?«
»Nein. Ich bin hier, weil wir Freunde sind.«
» Wir sind Freunde?«
Der Sarkasmus in meiner Stimme ließ Kim kreidebleich werden, doch das Mädchen war schon immer viel stärker gewesen, als es den Anschein gemacht hatte. Sie gab keinen Millimeter nach und machte auch keinerlei Anstalten, zu verschwinden. »Ja«, flüsterte sie.
»Na dann, meine liebe Freundin, sag doch mal: Hat Mia, deine Freundin, deine allerbeste Freundin, hat sie dir vielleicht erzählt, weshalb sie mich verlassen hat? Und das ohne eine Erklärung? Hat sie dir gegenüber zufällig was darüber gesagt? Oder hat sie nie über mich geredet?«
»Adam, bitte …« Ein Flehen lag in Kims Stimme.
»Nein, bitte, Kim. Bitte erklär es mir, denn ich hab echt keinen Schimmer.«
Kim holte tief Luft und baute sich in gerader Haltung vor mir auf. Ich konnte förmlich zusehen, wie die Entschlossenheit ihre Wirbelsäule emporkroch, Wirbel für Wirbel, ein Akt, mit dem sie mir ihre Kraft und ihre Loyalität demonstrierte. »Ich bin nicht hierhergekommen, um mit dir über Mia zu reden. Ich bin einfach gekommen, um dich wiederzusehen, und ich finde nicht, dass ich das Recht habe, mit dir über Mia zu reden oder umgekehrt.«
Sie hatte den Tonfall einer Sozialarbeiterin angenommen, die unparteiische Dritte, und dafür hätte ich sie am liebsten geohrfeigt. Wie eigentlich für alles. Doch stattdessen explodierte ich regelrecht. »Und was zum Teufel willst du dann hier? Wozu soll dein Besuch dann gut sein? Wer bist du denn für mich … ohne sie? Du bedeutest mir rein gar nichts! Du bist für mich ein Niemand!«
Kim machte ein paar unsichere Schritte rückwärts, doch als sie wieder zu mir
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