Lovesong
drinnen jemand wär. Er hat bestimmt ein Taxi genommen. Und genau das sollten wir auch tun. Zuverlässige Quellen haben mir per SMS gesteckt, dass Timberlake gerade im Breslin ist.«
Ich höre, wie sich ihre Schritte langsam entfernen, und nur zur Sicherheit verhalte ich mich noch ein Weilchen ruhig. Mia setzt dem Schweigen schließlich ein Ende.
»Glaubst du, er hat übernatürliche Kräfte?«, äfft sie die Frau perfekt nach. Dann fängt sie an zu lachen.
»Ich ruinier mir doch nicht meine neue Armanihose«, gebe ich zurück. »Alles hat seine Grenzen.«
Mia lacht noch viel lauter. Die Anspannung in meinem Körper löst sich langsam. Fast lächle ich mit ihr.
Als sie sich wieder beruhigt hat, steht sie auf, wischt sich den Dreck vom Hintern und lässt sich auf der Bank in dem Pavillon nieder. Ich geselle mich zu ihr. »Das passiert dir wohl andauernd, wie?«
Ich zucke mit den Schultern. »In New York und L. A. ist es immer ein bisschen schlimmer. Und in London. Aber es geschieht mittlerweile wirklich fast überall. Und jetzt verkaufen sogar schon meine Fans Fotos an die Klatschpresse.«
»Alle haben’s auf dich abgesehen, was?«, meint sie. Das klingt schon eher nach der guten alten Mia, wie ich sie kannte, und nicht wie die klassische Cellistin mit ihrem abgehobenen Vokabular und dem gekünstelten, europäisierten Akzent à la Madonna.
»Jeder hofft nur auf Profit«, sage ich. »Man gewöhnt sich dran.«
»Ja, man kann sich an so manches gewöhnen«, gibt Mia zu.
Ich nicke in die finstere Nacht hinein. Meine Augen haben sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Daher erkenne ich nun, dass der Garten ziemlich groß ist, eine schier endlose Rasenfläche, die von Wegen aus Ziegeln durchzogen und von Blumenbeeten gesäumt ist. Hin und wieder blitzen winzige Lichter auf. »Sind das Glühwürmchen?«, frage ich.
»Ja.«
»Mitten in der Stadt?«
»Na klar. Hat mich früher auch immer überrascht. Aber sobald sie einen Flecken Grün finden, fangen diese kleinen Kerlchen an zu strahlen. Sie tauchen leider nur für ein paar Wochen im Jahr auf. Ich hab mich schon immer gefragt, wo sie sich die restliche Zeit rumtreiben.«
Ich denke über ihre Worte nach. »Vielleicht sind sie ja die ganze Zeit hier; nur dass sie keinen Grund zum Strahlen finden.«
»Ja, vielleicht hast du recht. Das Äquivalent einer Winterdepression in der Tierwelt sozusagen. Obwohl … wenn die kleinen Biester wissen wollen, wie ein richtig deprimierender Winter aussieht, dann sollten sie mal nach Oregon gehen.«
»Woher hast du denn den Schlüssel zu diesem Garten?«, erkundige ich mich nun. »Wohnst du etwa hier in diesem Viertel?«
Mia schüttelt erst den Kopf, dann nickt sie doch zaghaft. »Stimmt schon, man muss hier in der Gegend wohnen, um einen Schlüssel zu bekommen, aber ich wohne nicht selbst hier. Der Schlüssel gehört Ernesto Castorel. Zumindest hat er ihm mal gehört. Als er noch Gastdirigent bei den Philharmonikern war, wohnte er ganz in der Nähe. Ich hatte damals immer wieder mal Knatsch mit Mitbewohnerinnen, eigentlich andauernd. Deshalb hab ich zu der Zeit öfter bei ihm gepennt, und nachdem er weggezogen war, hab ich den Schlüssel ›versehentlich‹ an mich genommen.«
Dass mich das nun so sehr trifft, erstaunt mich doch etwas. Du warst mit so vielen Mädchen zusammen seit der Trennung von Mia, dass du den Überblick verloren hast, ermahne ich mich selbst. Ist ja nicht so, als wärst du absolut keusch geblieben. Hast du wirklich erwartet, sie wäre die ganze Zeit allein gewesen?
»Hast du ihn jemals dirigieren sehen?«, fragt sie mich jetzt. »Er hat mich irgendwie immer an dich erinnert.«
Nun, abgesehen von heute Abend hab ich mir kein klassisches Stück mehr angehört, seit du weg bist. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Castorel? Oh, er ist einfach unglaublich. Er stammt aus einem Slum in Venezuela, und nur dank eines Straßenkinderprojekts, bei dem man den Kleinen hilft, indem man ihnen beibringt, zu musizieren, hat er es geschafft, schon mit sechzehn zum Dirigenten aufzusteigen. Mit vierundzwanzig war er Dirigent der Prager Philharmoniker, und mittlerweile ist er künstlerischer Leiter des Chicagoer Symphonieorchesters und leitet ebenjenes Projekt in Venezuela, das ihm seine Karriere erst ermöglicht hat. Er lebt nur für die Musik. So wie du.«
Wer behauptet denn, dass ich nur für die Musik lebe? Wer behauptet denn, dass ich überhaupt lebe? »Wow«, sage ich und kämpfe gegen die Eifersucht an,
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