Lovesong
Abschluss schon im Frühjahr gemacht. An der Juilliard bieten die auch die Option an, in drei Jahren seinen Abschluss zu machen, wenn man …«
»Wenn man ein echter Virtuose ist, schon klar.« Das war als Kompliment gedacht, aber mein Ärger darüber, dass ich über Mia Hall so wenig weiß – über ihre Karriere zumindest –, gibt dem Ganzen einen bitteren Beigeschmack.
»Für besonders begabte Schüler«, korrigiert Mia mich, und sie klingt fast schon entschuldigend. »Ich hab meinen Abschluss eher gemacht, damit ich schneller auf Tour gehen kann. Und zwar jetzt, um genau zu sein. Sie fängt gerade an.«
»Oh.«
Schweigend sitzen wir da, bis Stavros mit dem Essen kommt. Als wir die Bestellung aufgaben, dachte ich nicht, dass ich hungrig wäre, doch sobald ich den Burger rieche, fängt mein Magen an zu rumoren. Mir fällt ein, dass ich den ganzen Tag nichts gegessen habe außer ein paar Hotdogs. Stavros platziert eine ganze Reihe Teller vor Mia, einen mit Salat, eine Spinatpastete, Pommes und Milchreis.
» Das isst du hier üblicherweise?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich seit zwei Tagen nichts gegessen hab. Und du weißt, wie viel ich brauche. Oder zumindest wusstest du das früher …«
»Wenn du noch was brauchst, Maestra, gib einfach Bescheid.«
»Danke, Stavros.«
Nachdem er wieder weg ist, verbringen wir einige Minuten schweigend und ertränken die Stille und die Pommes in Ketchup.
»Also …«, fange ich erneut an.
»Also …«, wiederholt sie. Dann: »Wie geht es den anderen? Dem Rest der Band, meine ich?«
»Gut.«
»Wo sind sie heute Abend?«
»London. Beziehungsweise auf dem Weg dorthin.«
Mia legt den Kopf schief. »Ich dachte, du hättest gesagt, dass du morgen fliegst.«
»Ja, klar, also, ich hatte da noch ein paar Dinge zu erledigen, organisatorische Sachen und so. Deshalb bin ich einen Tag länger hier.«
»Na, so ein Glück.«
»Wie?«
»Ich meine … ein glücklicher Zufall, weil wir uns ja sonst nicht über den Weg gelaufen wären.«
Ich sehe sie an. Meint sie das wirklich ernst? Noch vor zehn Minuten hat sie den Eindruck erweckt, als würde sie gleich einen Herzinfarkt kriegen bei der simplen Erwähnung, sie könne meine Freundin sein. Und jetzt findet sie, es sei ein Glück, dass ich ihr heute Abend aufgelauert habe. Oder gehört das einfach zum üblichen Smalltalk?
»Und wie geht es Liz? Ist sie immer noch mit Sarah zusammen?«
Ah, verstehe, es handelt sich tatsächlich um Smalltalk. »Oh ja, klar, immer noch ein Paar. Sie wollen heiraten und diskutieren die ganze Zeit darüber, ob sie das jetzt in Iowa machen, wo das schon längst legal ist, oder ob sie warten sollen, bis Oregon nachzieht. So ein Aufwand, nur wegen einer Heirat.« Ich schüttle ungläubig den Kopf.
»Wie, willst du denn nicht heiraten?«, fragt sie, und ihre Frage klingt irgendwie nach Provokation.
Komischerweise fällt es mir schwer, ihren Blick zu erwidern, doch ich zwinge mich dazu. »Niemals«, sage ich fest.
»Oh«, meint sie und klingt fast schon erleichtert.
Keine Panik, Mia. Ich wollte dir keinen Antrag machen.
»Und du? Immer noch in Oregon?«, erkundigt sie sich jetzt.
»Nö. Ich wohne inzwischen in L. A.«
»Noch einer, der vor dem Regen in den Süden flieht.«
»Ja, so könnte man das wohl sagen.« Ich muss ihr ja nicht unbedingt auf die Nase binden, dass die Tatsache, dass man im Februar draußen zu Abend essen kann, ziemlich schnell zur Normalität wird und alsbald ihren Reiz verliert. Und dass es mir irgendwie falsch vorkommt, wenn die Jahreszeiten sich nicht mehr voneinander unterscheiden. Ich bin das genaue Gegenteil von den Leuten, die sich im tristen Winter mit Solarlampen behelfen. Im sonnigen Nicht-Winter von L. A. muss ich mich in einen dunklen Raum setzen, damit ich mich wohl fühle. »Meine Eltern sind inzwischen auch hingezogen. Die Hitze dort ist gut gegen die Arthritis von meinem Dad.«
»Stimmt, die Arthritis meines Großvaters ist auch ziemlich schlimm. Er hat es in der Hüfte.«
Arthritis? Das klingt ja alles fast wie der Text einer Weihnachtskarte: Billy hat Schwimmunterricht genommen, und Todd hat seine Freundin geschwängert, und Tante Louise hat sich ihre Hammerzehe operieren lassen.
»Oh, das ist ja bescheuert«, sage ich.
»Du weißt ja, wie er ist. Er lässt sich durch so was nicht aus der Ruhe bringen. Er und Gran lassen sich nicht davon abhalten, mir während der Tour hinterherzureisen, um mich zu sehen. Sie haben sich dafür extra neue Pässe
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