Lovesong
machen lassen. Und Gran hat sich sogar einen Gartenbaustudenten gesucht, der sich während ihrer Abwesenheit um die Orchideen kümmert.«
»Und, wie geht es den Orchideen von deiner Gran?«, frage ich. Na toll. Jetzt wären wir also schon beim Thema Blumen.
»Sie bringen ihr immer noch Preise ein, also schätze ich, denen geht’s gut.« Mia senkt den Blick. »Ich hab ihr Gewächshaus schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Seit ich hier bin, war ich nicht mehr bei ihnen zu Besuch.«
Ich bin überrascht von diesem Geständnis – und auch wieder nicht. Irgendwie ist es so, als hätte ich das eh längst gewusst, obwohl ich eigentlich erwartet hätte, Mia würde zurückkommen, wenn ich erst mal raus bin aus der Stadt. Wieder einmal habe ich meine eigene Bedeutung völlig überschätzt.
»Du solltest mal bei ihnen vorbeischauen«, meint sie. »Sie würden sich bestimmt freuen, von dir zu hören … zu hören, dass es dir gut geht.«
»Dass es mir gut geht?«
Als ich sie ansehe, blickt sie mich aus einem Wasserfall von Haaren hervor an und schüttelt verwundert den Kopf. »Klar, Adam, es ist doch unglaublich, was du erreicht hast. Ich meine, du hast es wirklich geschafft. Du bist ein Rockstar!«
Rockstar. In dem Wort schwingt so viel Blendwerk mit, dass es schwer ist, die wirkliche Person dahinter zu erahnen. Aber ich bin tatsächlich ein Rockstar. Ich habe das Bankkonto eines Rockstars und Platinplatten wie ein echter Rockstar und eine Rockstar-Freundin. Doch ich hasse diesen Ausdruck über alles, und zu hören, wie Mia dieses Wort im Bezug auf mich verwendet, treibt meine Abneigung in neue, ungeahnte Höhen.
»Hast du denn irgendwelche Fotos vom Rest der Band bei dir?«, erkundigt sie sich. »Auf deinem Handy vielleicht?«
»Klar, Fotos. Ich hab Tausende auf meinem Handy, aber das liegt im Hotel.« Das ist absolut gelogen, aber das muss sie ja nicht wissen. Und wenn sie Fotos sehen will, dann kann ich ihr gern eine Ausgabe der Spin beim Zeitungsstand an der Ecke besorgen.
»Ich habe ein paar Bilder da. Ich hab sogar richtige Abzüge, weil mein Handy schon uralt ist. Ich glaube, ich hab Fotos von Gran und Gramps dabei, ach ja, und ein ganz tolles von Henry und Willow. Letzten Sommer haben sie mich beim Marlborough Festival besucht, mit den Kindern«, erzählt sie. »Beatrix, oder Trixie, wie sie sie nennen, erinnerst du dich an die Kleine? Sie ist inzwischen fünf. Und dann haben sie noch ein Baby bekommen, einen kleinen Jungen, Theo, den haben sie nach Teddy benannt.«
Als sie Teddys Namen erwähnt, krampft sich mir der Magen zusammen. Gefühle sind unberechenbar, und man kann nie so genau sagen, wer einem fehlen würde und wer nicht. Ich habe Mias Eltern sehr geliebt, aber ihren Tod habe ich irgendwie noch verkraftet. Sie sind zwar viel zu früh gestorben, aber zumindest haben sie sich an die korrekte Reihenfolge gehalten – die Eltern vor den Kindern. Obwohl das aus der Sicht von Mias Großeltern natürlich nicht zutrifft. Aber dass Teddy mir nun für immer als Achtjähriger in Erinnerung bleiben wird, will mir immer noch nicht so ganz in den Kopf. Mit jedem Jahr, das ich älter werde, überlege ich mir, wie alt Teddy jetzt wäre. Inzwischen wäre er fast zwölf, und ich glaube ihn ständig in den pickeligen Gesichtern von irgendwelchen halbwüchsigen Jungs zu erkennen, die zu unseren Shows kommen oder mich um ein Autogramm bitten.
Damals, als wir noch zusammen waren, habe ich Mia nie erzählt, wie sehr mich Teddys Tod getroffen hat. Also kann ich es ihr jetzt erst recht nicht sagen. Ich habe das Recht verspielt, mit ihr über solche Dinge zu sprechen. Ich habe meinen Platz am Tisch der Familie Hall verlassen oder, besser gesagt, man hat ihn mir weggenommen.
»Das Bild hab ich vergangenen Sommer gemacht, ist also schon ein wenig veraltet, aber auf jeden Fall kriegst du einen Eindruck, wie sie alle heute aussehen.«
»Oh, lass nur.«
Doch Mia wühlt bereits in ihrer Handtasche. »Henry sieht immer noch genauso aus wie damals, wie ein ausgewachsenes Kind eben. Wo ist nur meine Brieftasche?« Sie pflanzt die Tasche auf den Tisch.
»Ich will deine Fotos nicht sehen!« Meine Stimme klingt schneidend, so scharf wie gebrochenes Eis und so laut wie ein Anschiss von den Eltern.
Mia hört auf zu suchen. »Oh. Okay.« Sie wirkt bestürzt, als hätte ich ihr eine Ohrfeige verpasst. Sie zieht den Reißverschluss ihrer Tasche zu und stellt sie wieder auf die Bank, wobei sie meine Bierflasche umwirft.
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