Lovesong
beiden Klassikfans sein könnten.« Dann blicke ich hinunter auf meine Jeans, das schwarze T-Shirt, die ausgelatschten Turnschuhe. Vor langer Zeit war ich auch mal Klassikfan. Man kann also nicht wirklich nach dem Äußeren gehen.
Mia lacht. »Oh, das sind sie auch nicht. Euphemia kennt mich, weil ich hin und wieder in der U-Bahn gespielt habe.«
»Du spielst auf der Straße für Geld? Sind die Zeiten wirklich so hart?« Und dann fällt mir auf, was ich da gerade gefragt habe, und würde am liebsten zurückspulen. Denn jemanden wie Mia spricht man nicht auf harte Zeiten an, auch wenn ich weiß, dass sie sich in finanzieller Hinsicht wirklich keine Sorgen zu machen braucht. Denny hatte eine Lebensversicherung abgeschlossen, zusätzlich zu der, die er als Lehrer sowieso gekriegt hätte. Daher ist Mia ziemlich gut versorgt, auch wenn zunächst niemand was von dieser zweiten Versicherung wusste. Nach dem Unfall hatten sich einige Musiker unserer Stadt zusammengetan, um eine Reihe von Benefizkonzerten zu veranstalten, mit denen sie letztlich fast fünftausend Dollar sammelten, damit Mia auf die Juilliard gehen konnte. Diese Großzügigkeit hat ihre Großeltern damals ziemlich gerührt – wie mich im Übrigen auch –, aber Mia selbst war stinksauer deshalb. Sie weigerte sich zunächst, die Spende anzunehmen, bezeichnete es als Blutgeld, doch als ihr Großvater meinte, die großzügige Gabe anderer Leute anzunehmen sei ebenfalls ein Akt der Großzügigkeit und dass die Leute der Gemeinde sich wahrscheinlich hinterher besser fühlen würden, da blaffte sie nur zurück, dass es nicht ihr Job sei, dafür zu sorgen, dass andere Leute sich besser fühlten.
Jetzt lächelt Mia nur. »Das war großartig. Und außerdem überraschend lukrativ. Euphemia hat mir mal zugehört, und als ich dann zum Essen hierherkam, da hat sie sich daran erinnert, mich an der Station Columbus Circle gesehen zu haben. Stolz hat sie mir erzählt, dass sie damals einen ganzen Dollar in meinen Koffer geworfen hat.«
Mias Telefon klingelt. Wir halten beide inne und lauschen der blechernen Melodie. Beethoven. Das Handy klingelt und klingelt.
»Willst du denn nicht rangehen?«, erkundige ich mich.
Sie schüttelt den Kopf und wirkt irgendwie schuldbewusst.
Sobald das Klingeln verstummt, ertönt die Melodie aufs Neue.
»Du bist aber gefragt heut Abend.«
»Ich befürchte, ich stecke eher in der Klemme, als dass ich gefragt bin. Ich hätte eigentlich nach dem Konzert zu einem Abendessen gehen sollen. Mit einem Haufen ganz hoher Tiere. Agenten, Sponsoren. Entweder versucht mich ein Professor von der Juilliard zu erreichen oder jemand von den Young Concert Artists, oder es ist mein Management, um mir den Marsch zu blasen.«
»Oder Ernesto?«, frage ich so unbeschwert wie nur möglich. Denn Stavros und Euphemia haben das bestimmt nicht einfach so aus der Luft gegriffen, die Idee, Mia habe irgendeinen schnöseligen Freund, den sie nicht in billige griechische Lokale mitnehmen will. Weil er anders ist als ich.
Mia schaut wieder einmal betreten drein. »Vielleicht.«
»Wenn du unbedingt mit jemandem reden musst oder, na ja, wenn es was Geschäftliches ist, dann lass dich von mir nicht davon abhalten.«
»Nein, ich schalte es einfach aus.« Sie greift in die Tasche und stellt ihr Telefon ab.
Stavros bringt einen Eiskaffee für Mia und ein Budweiser für mich und lässt uns erneut in betretenem Schweigen zurück.
»Also«, setze ich an.
»Also«, meint auch Mia.
»Also, du bist wohl öfter hier, oder? Ist das so was wie dein Stammlokal?«
»Wenn ich mich ausnahmsweise mal gesund ernähren will, komm ich hierher und futtere Spanakopita. Der Laden ist nah am Unicampus. Deshalb war ich früher oft hier.«
Früher? Zum ungefähr zwanzigsten Mal heute Abend rechne ich nach. Es ist drei Jahre her, dass Mia auf die Juilliard gegangen ist. Dann wäre sie also diesen Herbst im Abschlussjahrgang. Und trotzdem spielt sie in der Carnegie Hall? Sie hat ihr eigenes Management? Plötzlich wünsche ich mir, ich hätte dem Artikel damals mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
»Und warum jetzt nicht mehr?« Mein Frust ist trotz des Lärms nicht zu überhören.
Mia sieht mich aufmerksam an, und die kleine Raupe Furcht kriecht über ihren Nasenrücken. »Wie bitte?«, fragt sie schnell.
»Bist du denn nicht mehr an der Schule?«
»Ach, das«, meint sie, und die Erleichterung steht ihr ins Gesicht geschrieben. »Ich hätte es dir längst sagen sollen. Ich hab meinen
Weitere Kostenlose Bücher