Lovesong
war, etwas über Mia zu erfahren, irgendeine Erklärung zu erhalten. Nein, was ich mir in Wirklichkeit erhoffte, war, dass sie gesagt hätten: »Mia rührt sich überhaupt nicht mehr bei uns. Hat sie sich bei dir gemeldet?« Aber selbstverständlich ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung, weil es einfach nicht möglich war.
Die Sache war die, dass ich gar keine Bestätigung meiner Vermutungen mehr nötig hatte. Von jenem Abend an, als mein Anruf auf ihrer Mailbox landete, war mir klar gewesen, dass alles aus war.
Hatte ich es ihr nicht sogar selbst angekündigt? Hatte ich mich nicht vor ihr aufgebaut und versprochen, dass ich alles tun würde, damit sie bliebe, selbst wenn es bedeutete, auf sie zu verzichten? Die Tatsache, dass sie im Koma lag, als ich diese Worte aussprach, und noch weitere drei Tage nicht aufwachte und dass keiner von uns beiden je mein Versprechen ansprach –, dies schien mir damals nicht von Bedeutung. Nein, ich bin selbst schuld an allem.
Was mir aber nicht in den Kopf wollte, ist die Art und Weise, wie sie es anstellte. Ich selbst habe noch nie ein Mädchen auf so grausame Weise verlassen. Selbst damals, als ich noch ständig was mit irgendwelchen Groupies hatte, habe ich mir immer die Mühe gemacht, mein aktuelles Mädchen aus dem Hotel oder der Limousine oder was auch immer hinauszugeleiten, und ich hatte immer einen züchtigen Kuss auf die Wange für sie übrig und sagte so was wie »Danke, hat Spaß gemacht« oder etwas ähnlich Endgültiges. Und dabei waren das nur Groupies. Mia und ich waren ganze zwei Jahre ein Paar, und obwohl es scheinbar nichts weiter als eine Highschool-Romanze war, bin ich immer der Überzeugung gewesen, dass wir ein Ding für die Ewigkeit daraus hätten machen können, wenn wir es nur beide gewollt hätten. Und wenn wir uns fünf Jahre später kennengelernt hätten, und wenn sie nicht ein solches Cello-Wunderkind gewesen wäre, und wenn ich nicht Mitglied einer Band auf Erfolgskurs gewesen wäre – oder, wenn unser beider Leben nicht durch dieses Unglück zerrissen worden wäre –, dann, und davon war ich überzeugt, wäre es tatsächlich von Dauer gewesen.
Inzwischen habe ich herausgefunden, dass es einen Riesenunterschied macht, ob man etwas nur weiß – selbst wenn man sich darüber im Klaren ist, weshalb eine Sache so gekommen ist –, oder ob man eine Sache weiß und sie auch akzeptiert. Denn als sie den Kontakt abbrach, klar, da wusste ich genau, was geschah. Aber ich brauchte sehr, sehr lange, bis ich es schließlich akzeptieren konnte.
An manchen Tagen fällt es mir sogar heute noch schwer, es voll und ganz zu akzeptieren.
10
Pistolenlauf, Runden eins, zwei und drei,
Du oder ich, sie stellt es mir frei.
Metall berührt Schläfe, tödliche Explosion,
Leck das Blut von meinem Leib,
Einzig Überlebende stößt mich vom Thron .
»Roulette«, Collateral Damage, Song Nummer 11
Nachdem wir das Diner verlassen haben, werde ich plötzlich nervös. Weil wir uns über den Weg gelaufen sind. Der Höflichkeit halber sind wir dann noch zusammengeblieben, um uns gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen, doch was bleibt jetzt noch zu tun, außer uns zu verabschieden? Dazu bin ich allerdings ganz und gar nicht bereit. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es kein nächstes Mal geben wird mit Mia, und ich werde den Rest meines Lebens von diesem einen Abend zehren müssen. Deshalb hätte ich gern ein bisschen mehr gehabt als einen Parkplatz, Gespräche über Arthritis und eine misslungene Entschuldigung.
Jetzt kommt es mir so vor, als würde die Vollstreckung des Urteils mit jedem Block, den wir weitergehen, ohne dass Mia ein Taxi anhält und sich entschuldigt und verabschiedet, aufgeschoben. Aus dem Geräusch, das meine Schritte auf dem Bürgersteig verursachen, kann ich das Wort Galgenfrist, das durch die nächtlichen Straßen hallt, gerade noch so heraushören.
Schweigend gehen wir nebeneinanderher auf einem ruhigen, ziemlich heruntergekommenen Abschnitt der Ninth Avenue.
In einer eher muffigen Unterführung hausen ein paar Obdachlose. Einer bittet uns um ein bisschen Kleingeld. Ich werfe ihm einen Zehner zu. Ein Bus fährt vorüber und stößt eine stinkende Abgaswolke aus.
Mia deutet mit ihrem Finger auf die andere Straßenseite. »Da ist das Port-Authority-Busterminal«, meint sie.
Ich nicke nur, weil ich mir nicht sicher bin, ob wir uns jetzt so ausgiebig über Bushaltestellen unterhalten werden wie vorhin über Parkplätze oder ob sie vorhat,
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