Lovesong
ich dort unerkannt bleiben werde. Deshalb setze ich meine Sonnenbrille und meine Mütze auf, bevor wir da reingehen. Mia führt mich durch eine Halle mit orangefarbenen Fliesen, und der Duft von Tannennadel-Desinfektionsspray kann den Geruch von Pisse nicht vollständig überdecken. Wir fahren eine Reihe von Rolltreppen hoch, an geschlossenen Zeitungsständen und Fastfood-Restaurants vorbei, noch mehr Rolltreppen hoch, bis zu einer Neonleuchtreklame, auf der Freizeit-Bowling steht .
»Da wären wir«, meint sie schüchtern, aber zugleich stolz. »Seit ich es zufällig entdeckt habe, ist es mir zur Gewohnheit geworden, dass ich jedes Mal kurz reinschaue, wenn ich hier im Busbahnhof bin. Und dann bin ich irgendwann öfter nur so zum Spaß hergekommen. Manchmal sitze ich einfach bloß an der Bar und bestelle Nachos und guck den Leuten beim Bowlen zu.«
»Und warum bowlst du nicht selbst?«
Mia legt den Kopf schief, dann tippt sie sich an den Ellbogen.
Ah, ihr Ellbogen. Ihre persönliche Achillesferse. Eins der wenigen Körperteile, die bei dem Unfall nicht verletzt wurden, die nicht eingegipst waren oder mit Nägeln wieder zusammengenietet werden mussten oder an denen ihr Haut transplantiert wurde. Doch als sie schließlich wieder mit dem Cellospielen begann, in dem verzweifelten Versuch, wieder sie selbst zu sein, da fing er an wehzutun. Er wurde geröntgt. Eine Magnetresonanztomografie wurde durchgeführt. Die Ärzte konnten kein Problem feststellen und erklärten ihr, es könne sich um eine Prellung handeln oder um einen gequetschten Nerv, und sie schlugen vor, sie solle etwas weniger üben, was Mia natürlich gar nicht gefiel. Sie meinte, wenn sie nicht spielen könne, dann bliebe ihr nichts mehr. Und was ist mit mir?, dachte ich, aber ich sprach es nie laut aus. Egal, sie hörte nicht auf die Ärzte und erduldete die Schmerzen, und entweder wurde es irgendwann besser, oder sie gewöhnte sich schlichtweg daran.
»Ich habe hin und wieder versucht, ein paar Leute von der Juilliard dazu zu bringen, mit mir hierherzukommen, aber keiner hatte Lust. Macht aber nichts«, meint sie. »Ich mag diesen Ort. So vollkommen abgeschieden hier oben. Ich muss gar nicht unbedingt bowlen, um mich hier wohl zu fühlen.«
Dein Garten-Eden-Freund ist sich also zu gut für schmierige Diner und Bowlingbahnen, wie?
Mia und ich gingen früher auch gern bowlen, manchmal nur zu zweit und manchmal mit ihrer ganzen Familie. Kat und Denny sind immer gern bowlen gegangen; hatte wohl damit zu tun, dass Denny so ein Retrofan war. Sogar Teddy war ziemlich gut darin. Ob es dir gefällt oder nicht, Mia Hall, aber in deinen Adern fließt der Grunge, deiner Familie sei Dank. Und vielleicht verdankst du das ein klein wenig auch mir.
»Wir könnten doch jetzt gleich bowlen gehen«, schlage ich vor.
Mia lächelt angesichts meines Vorschlags. Dann tippt sie sich wieder an den Ellbogen. Sie schüttelt den Kopf.
»Du musst ja nicht selbst bowlen«, erkläre ich. »Ich mach das. Und du kannst zusehen. Ich tu es nur für dich. Ich könnte aber auch für uns beide bowlen. Ich finde, du solltest schon eine Runde spielen hier, wenn das schon deine Abschiedstour ist.«
»Das würdest du für mich tun?« Und es ist der überraschte Ton in ihrer Stimme, der mich trifft.
»Klar, warum nicht? Ich war seit einer Ewigkeit nicht mehr bowlen.« Das stimmt leider nicht so ganz. Bryn und ich waren vor einigen Monaten für irgendeine Charitysache bowlen. Wir haben für eine Stunde auf der Bahn zwanzigtausend Dollar bezahlt, für irgendeinen guten Zweck, und dann haben wir nicht mal richtig gespielt; wir tranken nur Champagner, während Bryn sich unterhielt. Mal ehrlich, wer trinkt denn auf einer Bowlingbahn Champagner?
Im Freizeit-Bowling riecht es nach Bier – und nach Wachs und Hotdogs sowie Schuhdesinfektionsspray. Genau so sollte eine Bowlingbahn riechen. Die Bahnen sind voll von außergewöhnlich unattraktiven Menschen, die tatsächlich nur wegen des Bowlens hier zu sein scheinen. Sie würdigen uns keines zweiten Blickes; in Wahrheit sehen sie uns überhaupt nicht an. Ich buche eine Bahn für uns und leihe für jeden von uns ein Paar Schuhe aus. Das volle Programm eben.
Mia ist total aufgeregt, als sie ihre Schuhe anprobiert. Sie wählt einen pinkfarbenen Achtpfünder für Damen aus, den ich für sie werfen soll.
»Wie steht’s mit den Namen?«, erkundigt sich Mia.
Früher haben wir uns immer Namen von Musikern gegeben; sie wählte meist den Namen
Weitere Kostenlose Bücher