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Lovesong

Titel: Lovesong Kostenlos Bücher Online Lesen
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dass du nie dorthin zurück bist?«, frage ich sie. Ich will ja nicht unbedingt eine Erklärung dafür, weshalb sie Oregon verlassen hat, aber es erscheint mir sicherer, mich selbst hinter der grünen Kulisse unseres Landes zu verstecken.
    »Weshalb hätte ich zurückkommen sollen?«, meint Mia und hält ihren Blick starr auf das Wasser gerichtet.
    »Keine Ahnung. Wegen der Leute vielleicht.«
    »Aber die Leute können doch alle hierher zu Besuch kommen.«
    »Damit du sie besuchen kannst. Deine Familie. Auf dem …« Ach du Scheiße, was red ich denn da?
    »Du meinst: auf dem Friedhof?«
    Ich nicke nur.
    »Wenn ich ehrlich bin, sind sie der Grund dafür, dass ich nicht zurückkomme.«
    Ich nicke wieder. »Zu schmerzhaft.«
    Mia lacht. Ein echtes, ehrliches Lachen, etwas, das ich wohl ebenso wenig erwartet hätte wie das Hupen eines Autos mitten im Regenwald. »Nein, so ist es ganz und gar nicht.« Sie schüttelt den Kopf. »Glaubst du denn allen Ernstes, dass der Ort, an dem du begraben bist, irgendetwas damit zu tun hat, wo deine Seele lebt?«
    Wo die Seele lebt?
    »Willst du wissen, wo die Seelen meiner Eltern wohnen?«
    Plötzlich kommt es mir so vor, als würde ich mich mit einem Geist unterhalten. Dem Geist der rationalen Mia.
    »Sie sind hier drin«, sagt sie und tippt sich an die Brust. »Und hier«, fügt sie hinzu, wobei sie ihre Schläfen berührt. »Ich höre sie die ganze Zeit.«
    Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Haben wir uns nicht noch vor zwei Minuten über diese ganzen New-Age-Hippies bei uns daheim lustig gemacht?
    Aber Mia ist jetzt vollkommen ernst. Sie legt die Stirn in tiefe Falten und dreht sich weg. »Egal, vergiss es.«
    »Quatsch. Mir tut es leid.«
    »Nein, ich hab schon verstanden. Ich klinge ja wie eine ausgeflippte Umweltaktivistin.«
    »Äh, wenn ich ehrlich bin, klingst du eher wie deine Gran.«
    Sie starrt mich an. »Wenn ich weiterrede, rufst du wahrscheinlich die Typen mit den Zwangsjacken.«
    »Ich hab doch mein Handy im Hotel liegen lassen.«
    »Ach ja, klar.«
    »Außerdem befinden wir uns hier auf einem Schiff.«
    »Gutes Argument.«
    »Und wenn die zufällig doch auftauchen sollten, dann melde ich mich freiwillig. Also, erzähl schon, verfolgen sie dich, die Stimmen?«
    Sie holt tief Luft, und ihre Schultern sacken nach vorn, so als wäre eine schwere Last von ihnen gefallen. Sie bugsiert mich rüber zu einer der leeren Sitzbänke. Ich nehme neben ihr Platz. »›Verfolgen‹ ist nicht das richtige Wort. Das klingt negativ, so als wären sie mir nicht willkommen. Aber ich höre sie. Die ganze Zeit.«
    »Oh.«
    »Und ich höre nicht nur ihre Stimmen wie eine Art Echo einer Erinnerung«, fährt sie fort. »Ich kann hören, wie sie mit mir reden. Und zwar hier und jetzt. In echt. Über mein aktuelles Leben.«
    Ich muss sie komisch angesehen haben, denn jetzt wird sie rot im Gesicht. »Ich weiß. Ich höre die Stimmen der Toten. Aber es ist nicht so, wie du vielleicht denkst. Wie diese verrückte Obdachlose – erinnerst du dich? –, die sich immer auf dem College-Campus rumgetrieben und behauptet hat, sie höre Stimmen, die per Funk Botschaften an ihren Einkaufswagen übermittelten?« Ich nicke. Mia sagt eine Weile nichts.
    »Zumindest denke ich nicht, dass es vergleichbar ist«, meint sie. »Aber vielleicht ist es das ja doch. Vielleicht bin ich ja verrückt, und ich weiß es bloß nicht, weil man ja selbst nie mitkriegt, wenn man durchdreht. Ist doch so, oder? Aber ich höre sie wirklich. Ob das jetzt irgendeine himmlische Macht ist, wie Gran annimmt, und sie vom Himmel aus einen direkten Draht zu mir haben, oder ob es einfach so ist, dass ich ihre Stimmen in mir abgespeichert habe, kann ich nicht sagen. Keine Ahnung, ob das überhaupt wichtig ist. Was zählt, ist, dass sie bei mir sind. Die ganze Zeit. Mir ist klar, dass ich klinge wie eine Verrückte. Manchmal führe ich sogar Selbstgespräche, aber wenn ich das tue, dann rede ich mit Mom darüber, welchen Rock ich mir kaufen soll, oder mit Dad darüber, dass ich nervös bin wegen eines Auftritts, oder mit Teddy über einen Film, den ich mir angeschaut habe. Und dann kann ich ihre Antworten hören. So als wären sie tatsächlich bei mir. So als wären sie nie wirklich verschwunden. Und was echt komisch ist: In Oregon konnte ich sie nicht hören. Nach dem Unfall war es fast so, als würden ihre Stimmen verblassen. Ich dachte schon, ich würde mich irgendwann nicht mehr erinnern können, wie ihre Stimmen klingen.

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