Lovesong
ich mich geschlagen gab. »Dieses Ding ist echt eine Herausforderung.«
»Gibt es denn eine Anleitung für deinen Gegner?«
»Na ja, irgendwann gab es wahrscheinlich schon mal eine Anleitung.«
Sie schüttelte den Kopf, stand auf und ergriff die Oberseite des Zeltes. »Okay, nimm du das Ende da drüben. Und ich nehm das hier. Ich schätze, dieses lange Teil gehört hier oben drüber.«
Zehn Minuten später hatten wir das Zelt aufgestellt und mit Heringen befestigt. Ich hatte ein paar Steine gesammelt und Kleinholz für die Feuerstelle, und mit dem Brennholz, das ich mitgebracht hatte, zündete ich ein Feuer an. Ich briet uns Burger in einer Pfanne über den Flammen und machte die Bohnen direkt in der Dose heiß.
»Ich bin schwer beeindruckt«, meinte Mia.
»Das Campen gefällt dir also?«
»Das hab ich nicht behauptet«, erwiderte sie, doch sie lächelte dabei.
Erst später, nach dem Essen und nach den S’mores und nachdem wir das Geschirr bei Mondlicht im Fluss gewaschen hatten und ich am Lagerfeuer ein bisschen Gitarre gespielt hatte, während Mia ihren Tee schlürfte und eine Packung Starburst vernichtete, da verstand ich plötzlich, was für ein Problem Mia mit dem Campen hatte.
Es war höchstens zehn Uhr, aber für einen Camper entsprach das in etwa zwei Uhr morgens. Wir schlüpften in unser Zelt und kuschelten uns in den Schlafsack für zwei. Ich zog Mia an mich heran. »Willst du wissen, was am Campen am schönsten ist?«
Ich spürte, wie ihr ganzer Körper sich verkrampfte – was nichts Gutes verhieß. »Was war das?«, flüsterte sie.
»Was war was?«
»Ich hab was gehört«, meinte sie.
»Wahrscheinlich nur irgendein Tier«, beruhigte ich sie.
Sie knipste die Taschenlampe an. »Woher willst du das wissen?«
Ich nahm die Taschenlampe und leuchtete ihr ins Gesicht. Ihre Augen waren schreckgeweitet. »Hast du etwa Angst?«
Sie blickte nach unten und nickte fast unmerklich mit dem Kopf.
»Das Einzige, weswegen du dich hier draußen fürchten musst, sind die Bären, und die interessieren sich nur für unseren Proviant. Deswegen haben wir ihn auch im Auto eingesperrt«, versicherte ich ihr.
»Ich hab keine Angst vor Bären«, sagte Mia verächtlich.
»Was ist es denn dann?«
»Ich … ich fühle mich hier draußen einfach wie eine lebendige Zielscheibe.«
»Eine lebendige Zielscheibe für wen denn?«
»Ich weiß nicht, für Leute mit Gewehren. Die ganzen Jäger.«
»Das ist lächerlich. Die Hälfte der Leute in Oregon geht zur Jagd. Meine ganze Familie geht jagen. Aber sie jagen Tiere, nicht Camper.«
»Ich weiß«, erwiderte sie kleinlaut. »Es ist auch nicht wirklich das. Ich fühle mich bloß so … so schutzlos. Ich weiß auch nicht … die Welt ist plötzlich so riesengroß, wenn man draußen in der freien Wildnis ist. Es ist fast so, als gäbe es keinen Platz für einen, wenn man kein Dach über dem Kopf hat.«
»Dein Platz ist genau hier, bei mir«, flüsterte ich, während ich sie sanft niederdrückte und fest umarmte.
Sie kuschelte sich an mich. »Ich weiß.« Sie seufzte. »Was für eine Idiotin ich doch bin! Die Enkelin eines Forstangestellten, die Angst vorm Zelten hat.«
»Aber das ist ja nur die eine Hälfte. Die andere Hälfte von dir ist klassische Cellistin, deren Eltern ehemalige Punks sind. Du bist mehr als eine Idiotin. Aber du bist meine Idiotin.«
Eine Weile lagen wir schweigend nebeneinander. Mia stellte die Taschenlampe aus und rückte noch näher an mich heran. »Hast du als Kind auch gejagt?«, flüsterte sie. »Du hast noch nie davon erzählt.«
»Ich war früher oft mit meinem Dad unterwegs«, murmelte ich leise. Obwohl wir mit Sicherheit die einzigen Leute weit und breit waren, schien die nächtliche Stille danach zu verlangen, dass wir uns flüsternd unterhielten. »Er meinte immer, wenn ich zwölf wäre, würde ich ein Gewehr zum Geburtstag bekommen, und dann würde er mir beibringen zu schießen. Doch als ich dann ungefähr neun war, bin ich mit ein paar älteren Cousins losgezogen, und einer von denen hat mir sein Gewehr geliehen. Wahrscheinlich war es Anfängerglück oder so, auf jeden Fall hab ich gleich ein Kaninchen erlegt. Meine Cousins sind total ausgerastet. Kaninchen sind klein und flink und selbst für erfahrene Jäger nur schwer zu erlegen, und ich hatte gleich bei meinem ersten Versuch Erfolg. Sie wollten das Tier zu Hause allen zeigen, und wir wollten es sogar ausstopfen als Trophäe. Als ich es aber so blutüberströmt da liegen sah,
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