Lovesong
Spitznamen fand ich ja immer besonders toll.«
»Mach dir keine Gedanken. Ich hab nichts erzählt. Außerdem hab ich zur Sicherheit ihr Aufnahmegerät demoliert. Sämtliche Beweise sind also vernichtet.«
»Nein, nicht alle Beweise.« Sie starrt mich an. »Den Cougar gibt es ja noch. Ich bin mir sicher, dass Kim höchst erfreut sein wird, wenn sie erfährt, dass ihr Frühwerk womöglich in einem landesweiten Magazin gezeigt wird.« Sie schüttelt den Kopf und kichert. »Wenn Kim einen einmal vor die Linse gekriegt hat, dann gibt es kein Entkommen mehr. Es war also völlig umsonst, das Aufnahmegerät dieser Journalistin zu vernichten.«
»Ich weiß. Ich hab irgendwie die Kontrolle verloren. Sie war so eine unglaublich provokante Person, hat versucht, was aus mir rauszulocken, indem sie mir Komplimente machte, die in Wahrheit versteckte Beleidigungen waren.«
Mia nickt wissend. »Das passiert mir auch ständig. Diese Typen sind die Schlimmsten! ›Der Schostakowitsch, den Sie heute Abend gespielt haben, hat mich fasziniert. Viel zurückhaltender als der Bach‹«, sagt sie in hochnäsigem Ton. »Übersetzt heißt das: Der Schostakowitsch war echt scheiße.«
Ich kann mir nicht vorstellen, wie Schostakowitsch je scheiße klingen soll, aber ich werde ihr nicht widersprechen, wo wir uns doch ausnahmsweise mal einig sind.
»Und, was wollte sie über mich wissen?«
»Sie wollte einen fetten Artikel darüber schreiben, wie Shooting Star zu dem wurde, was wir sind, schätze ich. Deswegen hat sie sich bei uns daheim umgesehen und mit Leuten geredet, mit denen wir auf der Highschool waren. Und die haben ihr von uns erzählt. Von dem … wie wir zueinander standen. Und von dir, was passiert ist …« Ich lasse den Satz unvollendet. Ich blicke den Fluss hinab, einem vorbeifahrenden Kahn hinterher, der, dem Geruch nach zu urteilen, Müll geladen hat.
»Sie wollte wissen, was wirklich passiert ist?«, fragt Mia.
Ich kann nicht sagen, ob diese Frage rhetorisch gemeint ist. Deshalb zwinge ich mich dazu, fröhlich zu klingen. »Klar, das versuch ich ja selbst immer noch rauszufinden.«
Mir kommt es so vor, als wäre das das Ehrlichste, was ich den ganzen Abend lang von mir gegeben habe, doch die Art und Weise, wie ich es sage, verwandelt meine Worte in eine Lüge.
»Weißt du, mein Manager hat mich schon immer davor gewarnt, dass immer mehr Leute sich für den Unfall interessieren würden, je bekannter ich würde, aber ich hätte nie gedacht, dass die Verbindung zu dir mal ein Thema werden könnte. Na ja, anfangs hab ich das schon gedacht. Ich hab regelrecht darauf gewartet, dass jemand was rausfindet – über deine verflossenen Liebschaften –, aber ich schätze, ich war einfach nicht interessant genug im Vergleich zu deinen, äh, anderen Anhängseln.«
Sie denkt also, dass das der Grund ist, weshalb keiner dieser Schmierfinken sie belästigt hat? Weil sie nicht so interessant ist wie Bryn, von der sie mit ziemlicher Sicherheit gehört hat? Wenn sie wüsste, was die Band alles auf sich genommen hat, nur um ihren Namen da rauszuhalten, damit keiner die Wunde berührte, die bei mir sofort wieder aufriss, sobald man nur ihren Namen erwähnte. Wenn sie nur wüsste, dass wir in unseren Interviewverträgen ganze Absätze stehen haben, die vorschreiben, welche Themen angesprochen werden dürfen und welche nicht, und dass, obwohl sie selbst nicht explizit erwähnt wird, es dabei einzig und allein darum geht, sie nicht mit der Platte in Verbindung zu bringen. Um sie zu schützen. Und auch mich.
»Ich schätze, die Highschool ist längst Geschichte«, meint sie.
Geschichte? Hast du unsere dumme Schülerromanze echt schon auf den Schrotthaufen der Geschichte geworfen? Und wenn ja, warum schaff ich das dann nicht auch?
»Na ja, du und ich, das ist so gegensätzlich wie MTV und Lifetime«, sage ich so munter wie möglich. »Mit anderen Worten, ein gefundenes Fressen für die Haie.«
Sie seufzt. »Ach, na ja. Auch Haie brauchen was zu fressen.«
»Was soll das denn heißen?«
»Tja, ich möchte nicht unbedingt, dass meine Familienhistorie in alle Öffentlichkeit gezerrt wird, aber wenn das der Preis ist, den man dafür bezahlt, dass man das tun kann, was man liebt, dann bin ich, glaub ich, bereit, ihn zu zahlen.«
Und da wären wir wieder beim Thema. Die Vorstellung, dass die Musik das alles wert ist – ich würde ja wirklich liebend gern daran glauben. Aber ich kann es nicht. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich davon
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