Luc - Fesseln der Vergangenheit
ungewöhnlich. Was ist damals geschehen?«
Bei Luc klangen die schrecklichen Ereignisse wie nüchterne Fakten in einer Nachrichtensendung. Aber Jasmin war dort gewesen und hatte die Menschen sterben sehen.
»Woher weißt du von dem Luftangriff?«
»Das war nicht besonders schwer. Deine Reaktion beim Essen mit Hamid sprach für sich. Übrigens: Er und Kalil wissen darüber Bescheid. Er hat mir zwar keine Details verraten, aber er sagte ausdrücklich, dass du die Einzige bist, die sich für schuldig hält. Nun komm schon, Jasmin. Was ist damals passiert? Warum diese Jagd auf dich? Wir können dir nicht helfen, wenn du uns gegenüber nicht offen bist.«
Zunächst verschlug es ihr die Sprache, dass Hamid über ihre Beteiligung an dem Luftangriff informiert war, dann dämmerte ihr die Erkenntnis, dass die Brüder damit leben konnten. Wenn die Afghanen ihr keinen direkten Vorwurf daraus machten, konnte sie den SEAL s gegenüber wenigstens offen sein und ihr Urteil akzeptieren.
27
Keiner drängte Jasmin, auch wenn die Mienen mittlerweile Sorge statt Neugier widerspiegelten. Stockend fing sie an, wurde dann sicherer und skizzierte in wenigen Worten ihre Tarnung als Entwicklungshelfer und ihren Auftrag, sich ausschließlich auf hochrangige Talibananführer zu konzentrieren. »Wir waren an einem dran. Es hieß damals, dass es vielleicht Osama selbst sein könnte.« Chris pfiff durch die Zähne und handelte sich einen tadelnden Blick von Luc ein. Er hatte seine Leute eindeutig im Griff. »Mein Partner und ich verfolgten seine Spur von einem Dorf zum nächsten. Weil wir frei operieren konnten, waren wir schnell und brauchten auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Unterstützung stand uns zwar zur Verfügung, sollte aber erst auf explizite Anforderung aktiv werden. Dann kam die Nacht, in der sich alles änderte. Plötzlich hieß es, dass es sich nicht um Osama, sondern um einen seiner Stellvertreter handelte. Damit änderten sich auch die Vorzeichen. Statt einer Festnahme sollte es jetzt auf eine Exekution hinauslaufen.« Sie seufzte. »Vermutlich hätte ich damit leben können, wenn wir gezielt zugeschlagen hätten. Aber mein Partner wählte einen anderen Weg. Wir wussten nicht einmal sicher, ob der Mann sich noch in dem Dorf vor uns aufhielt. Statt einen Tag zu warten und eine Aufklärungsmission zu starten, hat er einen Luftschlag angefordert. Ich weiß bis heute nicht, warum er das getan hat. Später habe ich erfahren, dass unser Ziel tatsächlich schon längst weitergefahren war.«
Vor Jasmins Augen tauchten wieder die Menschen auf, die den Bomben hilflos ausgeliefert waren. Durch ihre Hightech-Ferngläser war ihr kein Detail entgangen und selbst nach Jahren waren die Bilder präsent und drohten, sie aus der Fassung zu bringen.
Scott schob ihr ein Glas mit Wasser zu. »Die Motive kann ich dir nachliefern. Die Region befand sich an einem Scheidepunkt. Eigentlich war geplant, den Afghanen die Selbstverwaltung zu überlassen, aber durch die zivilen Opfer bekamen die Taliban erheblichen Zulauf und die Skandinavier und Polen haben noch heute Probleme, die Provinz unter Kontrolle zu bekommen.«
»Das klingt logisch und passt zu meiner Vermutung über Meltons Motive.«
Auch Luc signalisierte seine Zustimmung. »Dein Partner war ranghöher. Wie hättest du ihn von dem Luftschlag abhalten sollen? Erzähl uns, wie es weiterging.«
Jasmin zwang sich zu einem Grinsen, das vermutlich misslang. »Ich hätte ihn früher erschießen können … «
Zumindest brachte ihr Vorschlag die Männer zum Schmunzeln. »Erst war ich wie gelähmt, dann habe ich ihm ganz klar gesagt, dass sein Befehl für ihn noch Konsequenzen haben würde. Wir hatten eines dieser neuartigen, digitalen Ferngläser benutzt. Auf der Speicherkarte war jedes Detail zu sehen und aus irgendeinem Grund, den ich heute nicht mehr verstehe, habe ich einige unserer Diskussionen mit dem Sat-Phone mitgeschnitten. Ihr wisst schon. Diese Diktierfunktion. Er würde sich nicht damit rausreden können, dass sein Wort gegen meins stand, sondern ich hatte genug Beweise, um eine Anklage gegen ihn zu erreichen. Er hat mir dann klargemacht, dass ich naiv und dämlich bin und dass sein Vorgehen mit unserem Vorgesetzten, also Melton, abgestimmt wäre. Das hat mich zum zweiten Mal umgehauen. Ehe ich mich von dem Schock erholt hatte, hielt er mir seine Pistole an den Kopf. Aber er hat nicht damit gerechnet, dass ich mich wehren könnte, und wollte vorher noch ein wenig Spaß mit mir
Weitere Kostenlose Bücher