Luc - Fesseln der Vergangenheit
»Was meinst du?«
»Soweit ich weiß, ist nicht bekannt, dass Hamid eine Familie hat. Weder Hamid noch ich sind dämlich. Es ist offensichtlich, dass du zu einer amerikanischen Spezialeinheit gehörst. Ich will nicht, dass deinetwegen die Leute leiden, die dir jetzt freundlich begegnen.«
Der Vorwurf war in mehr als einer Hinsicht absurd. Er schob die Schale zur Seite. Als sie den Kopf abwandte, beugte er sich vor, umfasste ihr Gesicht und zwang sie sanft, ihn wieder anzusehen. »Mir ist nicht entgangen, dass es zwischen Warzai und den Kazim-Brüdern Spannungen gibt. Aber was genau befürchtest du? Dass ich sterben könnte und Warzai sich an deinen Freunden rächt? Das dürfte dank deiner Hilfe ausgeschlossen sein. Verlangst du von mir, dass ich ruhig abwarte, bis Warzai zurückkehrt und mich auseinandernimmt? Da muss ich dich enttäuschen, das werde ich nicht. Das weiß Hamid auch. Wenn wir unterstellen, dass mir die Flucht gelingt, sehe ich nicht, wo das Problem wäre. Ich weiß nicht, wo sich dieses Dorf befindet, und bezweifele, dass ich es wiederfinden könnte. Den Rest müssen Warzai und Hamid unter sich ausmachen. Aber ich werde mich nicht zum Wohl seines Dorfes umbringen lassen.«
Überzeugt hatte er Jasmin nicht, aber sie wehrte sich nicht gegen die Berührung. Sanft fuhr er ihr mit der Hand über ihre Wange. »Ist es nicht ziemlich paradox, dass du mich als Gefahr ansiehst? Hamid hält sämtliche Karten in der Hand, während ich maximal Außenseiterchancen habe.«
»Dafür reagierst du aber überraschend kühl.«
»Was würde es mir helfen, wenn ich hier säße und lamentierte? Hamid und ich haben eine Abmachung und in vier Tagen werden wir wissen, wie die Sache ausgegangen ist. Lass mir deine Handynummer oder E-Mail-Adresse hier, wenn du fährst. Wenn ich den Scheiß hier überlebt habe, lade ich dich zu einem Steak ein.«
Statt auf seinen lockeren Ton einzugehen, zeigte sich eine Falte auf ihrer Stirn. »Ich wünschte, ich könnte mehr für dich tun, aber das geht nicht.«
Wie von alleine fand seine Hand wieder den Weg an ihre Wange. »Allmählich solltest du dich entscheiden, wovor du nun Angst hast: dass ich sterbe oder dass ich überlebe. Ich habe es dir schon einmal gesagt: Ich verlange nichts von dir. Es gibt nichts, für das du dich rechtfertigen müsstest. Ich habe genug medizinische Kenntnisse, um zu wissen, dass ich ohne deine Hilfe tot wäre. Wenn du etwas für mich tun willst, dann leiste mir Gesellschaft, ehe ich vor Langeweile an den Nägeln kaue, und erzähl mir, wieso du alleine in den Bergen unterwegs bist.«
6
Jasmin suchte in Lucs Gesicht nach einem Hinweis auf Unaufrichtigkeit. Ihre feste Überzeugung, dass er sie um Hilfe bitten würde, geriet ins Schwanken. Ruhig erwiderte er ihren forschenden Blick und sie stieß nur auf Gelassenheit. Woher nahm er nur die Selbstsicherheit und Ruhe? Trotzdem wäre es ihr fast lieber gewesen, er hätte gejammert oder gegen die Abmachung mit Hamid verstoßen, denn so fühlte sie sich mehr und mehr zu ihm hingezogen – und das durfte nicht sein. Sie sollte sich gegen die zärtliche Berührung wehren, genoss jedoch den Körperkontakt viel zu sehr. Statt seinen Arm wie beabsichtigt wegzustoßen, legte sie ihre Hand auf seine und schmiegte ihr Gesicht enger in seine Handfläche. Dabei hallten seine Worte in ihrem Inneren wider. Wovor hatte sie mehr Angst, dass er lebte oder starb? Sie wünschte sich nur einen Bruchteil seiner Gelassenheit, damit ihr Gefühlschaos beherrschbar wurde. Der Gedanke, ihn in drei Tagen einem ungewissen Schicksal zu überlassen, war unerträglich, aber einen anderen Ausweg sah sie nicht.
Luc nahm seine Hand von ihrer Wange, aber nur, um mit den gespreizten Fingern durch ihre Haare zu streichen. »Weich wie Kaschmir.« Ein bitteres Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er schließlich die Hand zurückzog und von ihr abrückte. »Völlig falscher Ort und falsche Zeit. Das ist keine gute Idee, Jamila.«
»Ich habe nicht damit angefangen.« Himmel, ihre Stimme klang rau und heiser, als ob sie eine Packung Zigaretten geraucht hätte.
»Darüber könnte man streiten, aber vielleicht sollten wir einfach sehen, wo es hinführt. Meine Einladung zu einem anständigen Steak steht.«
Es war höchste Zeit für einen Themawechsel. »Was machen deine Kopfschmerzen? Wieso sprichst du perfekt Paschtu und verhältst dich wie ein Afghane? Und wieso … «
Lächelnd hob er eine Hand. »Stopp. Das reicht erst mal an Fragen. Meinem
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