Luc - Fesseln der Vergangenheit
dass du Offizier bist.« Das drohende Funkeln in seinen Augen gefiel ihr ausgesprochen gut, aber es war Zeit einzulenken. »Der Franzose hat sich mit billigsten Naschereien an die Kinder des Dorfes herangemacht. Eine besonders niedliche Sechsjährige hat er sich dann vorgenommen und vergewaltigt. Mit viel Glück hat das Mädchen überlebt, aber der psychische Schaden ist enorm und sie wird wohl niemals Kinder bekommen. Die Mutter ist nur noch ein Wrack und der Vater zerfleischt sich mit Selbstvorwürfen, dass er seine Tochter nicht beschützt hat. Der widerwärtige Mensch hat eine ganze Familie zerstört. Und alles nur, um seine abartigen Perversionen zu stillen.« Ihre Stimme war stetig lauter geworden, tief durchatmend zwang sie sich zur Ruhe. »Reicht das als Begründung? Und jetzt komm mir nicht mit dem Gesetz. Der hätte doch genug Geld gehabt, um sich vor Gericht freizukaufen. Ich habe das Mädchen vorm Verbluten bewahrt und das war der Moment, als ich ihn mir am liebsten selbst vorgenommen hätte. Die Bilder verfolgen mich noch heute.«
Mit undurchdringlicher Miene musterte Luc sie. »Also hat Hamid ihn deswegen getötet?«
»Nein. Er hat ihn zwar offiziell zum Tode verurteilt, aber nur einsperren lassen. Ich weiß nicht, was er getan hätte, und wir werden es nie erfahren. Das Mädchen hat Verwandte aus dem Dorf von Warzai, die gerade zu Besuch waren. Die haben in der Nacht das Urteil auf eigene Faust vollstreckt und ihn in die Wüste gebracht, wo er gefunden wurde. Und nun rate mal, wer das sofort ausgenutzt hat, um mit den angeblich authentischen Bildern Hamids Ruf zu beschädigen. Natürlich Warzai, aber gebracht hat es ihm nichts. Nur die Truppen haben die Jagd auf Hamid verstärkt, während die traditionellen Taliban Hamids angebliche Tat absolut in Ordnung finden. Und falls du es genau wissen willst, besonders viel Mitleid hatte ich nicht mit dem Kerl.«
Sein eindringlicher Blick machte sie nervös, dazu kam, dass er keinen Versuch unternahm, ihre bisherige Nähe wiederherzustellen. Vielleicht hatte ihn ihr offenes Eingeständnis abgestoßen, aber er hatte weder das Wimmern des Mädchens ertragen müssen noch das arrogante Gehabe des Reporters. Sie hatte den Moment genossen, als er endlich begriff, dass Hamid in seinem Dorf derartige Übergriffe nicht duldete.
Bisher hatte sie Luc recht leicht einschätzen können, jetzt stieß sie an ihre Grenzen und es wurde Zeit, sich daran zu erinnern, dass sie im Prinzip Fremde waren. Er würde sie nie verstehen. »Meine Mittagspause ist langsam vorbei. Es warten noch einige Patienten auf mich. Am besten schläfst du noch eine Runde. Ich wecke dich zum Essen, und wenn es draußen kühler ist, halte ich mein Versprechen.«
Sie stand auf, sah auf ihn herab und hoffte auf irgendein Zeichen, das ihr verriet, was in ihm vorging. Zunehmend besorgt stellte sie fest, wie viel ihr bereits an seiner Meinung lag. Das konnte und durfte nicht sein. Als er weiter schwieg, wollte sie sich abwenden.
Er fasste so schnell nach ihrer Hand, dass sie nicht ausweichen konnte. Mit einem Ruck zog er sie zu sich herunter, so dass sie halb auf die Kissen, halb auf ihn fiel. Sein Mund fand ihren und diesmal begehrte seine Zunge entschieden Einlass. Sie sollte ihm klarmachen, dass sie daran nicht interessiert war, aber ihr Körper überhörte die Stimme der Vernunft. Es war Wahnsinn, aber sie erwiderte den Kuss und schmiegte sich an ihn. Hitze loderte in ihr hoch, die endgültig jeden vernünftigen Gedanken zu verdrängen drohte. Aber dann meldete sich ihr Verstand vehement zu Wort. Abrupt löste sie sich von ihm. Auch Hamids Toleranz hatte Grenzen und die Tür stand weit offen. Wenn er oder ein anderer sie so sah, bekam sie ernsthafte Schwierigkeiten. Außerdem sprachen neben tausend anderen auch rein medizinische Gründe gegen ein solches Intermezzo.
Nur langsam klärte sich sein verschleierter Blick, dann röteten sich seine Wangen. »Verdammt. Entschuldige, ich hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen.«
Es war ein gewisser Trost, dass er ebenso verwirrt wirkte, wie sie sich fühlte. »Du? Ich hatte deine Rippe und deine Prellungen völlig vergessen. Ich sollte mein Diplom in tausend Stücke zerreißen, weil ich das zugelassen habe.«
Der Anflug eines Grinsens zeigte sich auf seinem Gesicht und verschwand sofort wieder. »Meine Rippen? Himmel, Jamila, die machen mir im Moment bestimmt keine Sorgen.«
»Gut, aber, du weißt, dass ich nicht … ich meine, auch wenn ich …
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