Luc - Fesseln der Vergangenheit
Unterlippe, als das Notebook für ihren Geschmack viel zu langsam hochfuhr. Zu unruhig, um sich auf den Stuhl zu setzen, lief sie vor dem Schreibtisch auf und ab. Endlich war die Verbindung zum Satelliten hergestellt und im Internet-Browser erschien ihre Startseite.
Mit einem Mausklick navigierte sie zur Seite eines kostenlosen, russischen Mail-Providers und loggte sich in Kalils Account ein. Ihr Verfahren war ebenso simpel wie sicher. Im Ernstfall schickten sie sich gegenseitig keine Mails über ihre üblichen Mail-Adressen, sondern speicherten ihre Texte im Entwurf-Ordner des fiktiven Benutzers. Selbst die Hightech-Spielereien der amerikanischen Geheimdienste stießen bei diesem Verfahren an ihre Grenzen. Statt sofort im Entwurf-Ordner nach Kalils Nachricht zu suchen, verharrte Jasmins Finger auf der Maus. Nach dem Einloggen gelangte sie automatisch in den Posteingangsordner und dort wurde eine alte Mail angezeigt, deren Datum einige Tage zurücklag und als deren Absender schlicht ›Luc‹ angegeben war.
Ohne es zu wollen, öffnete sie die Mail und rollte entnervt mit den Augen. Männer! Das konnte doch nicht wahr sein. Außer ›Danke, Luc‹ stand dort kein weiteres Wort. Und was sollte ihr das nun sagen? Die Mail-Adresse war ebenso wenig aussagekräftig: googlemail und als Benutzername Luc911. Das Zahlenspiel brachte sie zum Lächeln, ihr erster Gedanke galt seinem Porsche, den er erwähnt hatte, ihr zweiter der amerikanischen Notrufnummer.
»Nette Doppeldeutigkeit, Luc.«
Erst dann traf sie die Erkenntnis mit voller Wucht. Die Mail war logischerweise nicht an sie gerichtet, sondern an Kalil und das wiederum bedeutete, dass Luc in Sicherheit war und einen Grund hatte, sich bei Kalil zu bedanken.
»Männer!« Sie wusste nicht genau, wem ihre Beschwerde galt, verdient hatten sie beide Seiten, obwohl ihr nicht klar war, was sie ihnen eigentlich vorwarf. Aber darauf kam es auch nicht an. »Himmel, Luc. Du machst mich verrückt. Jetzt hätte ich mich fast ausgeloggt, ohne Kalils Nachricht zu lesen, und Selbstgespräche führe ich auch schon wieder.«
Rasch holte sie das Versäumnis nach. Schon nach den ersten Worten lief ihr ein Frösteln über den Rücken:
Nachdem Warzai Luc nicht gegen uns ausspielen konnte, weil dein Freund cleverer als dieser Abkömmling eines Warzenschweins war, hat er jetzt dich im Visier. Beurteile selbst, wie schwer es ist, in einer Stadt mit rund 100,000 offiziellen Einwohnern und vielleicht 150,000 tatsächlichen und dabei geschätzten zehn Ärztinnen auf die Richtige zu stoßen.
Das wird selbst dieser einfache Geist schaffen, zumal Gerüchte darauf hinweisen, dass er Hilfe hat. Hilfe von amerikanischer Seite.
Ich werde tun, was ich kann, um die Gefahr auszuschalten. Du weißt selbst, dass weder Hamid noch ich tatenlos zusehen werden, wenn er über dich das Urteil der Scharia spricht, aber du weißt auch, dass uns im Moment die Handhabe fehlt, gegen diesen Wurm vorzugehen. Bleib die nächsten Tage in Deckung. Selbst der Weg zu uns wäre im Moment zu gefährlich. Wenn du meinen Rat hören willst, den du natürlich ignorieren wirst, bitte Luc um Hilfe bei deinen Problemen mit den Amerikanern. Oder frage ihn wenigstens nach Indizien für eine Zusammenarbeit zwischen Warzai und seinen Leuten. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das von offizieller Seite aus gutgeheißen wird, aber auch da bin ich am Ball.
Inschallah und sei gegrüßt von uns allen. Pass auf dich auf, kleine Schwester,
dein besorgter Bruder Kalil
»Verdammt, verdammt, verdammt.« Sie las die Zeilen erneut, aber der Inhalt änderte sich nicht. Wie auch?
Sie zwang sich dazu, den Inhalt logisch zu betrachten. Irgendwie musste Kalil herausbekommen haben, dass sie sich vor ihren eigenen Landsleuten verbarg. Das war vermutlich nicht weiter schwer zu erraten gewesen, aber seine Zeilen klangen so, als ob er Bescheid wusste – und das war eigentlich ausgeschlossen. Er konnte nicht wissen, dass sie früher für die CIA gearbeitet hatte und ihr ehemaliger Vorgesetzter nun hinter ihr her war. Allerdings deutete er an, dass ihre Verfolger nun mit Warzai zusammen Jagd auf sie machten. Egal, wie er darauf kam, wenn er recht hatte, war das ein Alptraum.
Eigentlich war das unmöglich, denn die amerikanischen Interessen in der Region standen im krassen Gegensatz zu allem, wofür Warzai stand. Andererseits hatte der Mistkerl Melton es ja auch geschafft, sie wie eine Verbrecherin dastehen zu lassen. Und das Vorgehen wäre typisch
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