Luc - Fesseln der Vergangenheit
Lucs Team ihn sonst raushauen müsste, hingen wie ein Damoklesschwert über ihm. Instinktiv ahnte er, dass der Stich ins Wespennest schiefgegangen war. Das Glück hatte ihm heute etliche Male zur Seite gestanden, jetzt warf drohendes Unheil seine Schatten voraus.
»Verdammt, wo bist du da nur reingeraten, Jamila?«
Wenn Scott sein Flüstern gehört hatte, so war er diskret genug, nicht nachzuhaken.
18
Statt sich auf den Verkehr vor ihr zu konzentrieren, sah Jasmin immer wieder in den Rückspiegel.
Ohne einen konkreten Anhaltspunkt zu haben, fühlte sie sich verfolgt. Wie an jedem normalen Tag, den sie in Kunduz verbrachte, hatte sie das Haus im westlichen Stil gekleidet verlassen. Unter einem lässig umgeworfenen Kopftuch lugten gezielt einzelne braune Strähnen hervor. Dunkles Make-up und passende Kontaktlinsen verliehen ihr ein südeuropäisches Aussehen. Auf der Fahrt zu ihrem ersten Ziel benötigte sie nur wenige Handgriffe, um sich in eine traditionell gekleidete Afghanin zu verwandeln.
Egal, welchen Trick sie auch anwandte, sie konnte niemanden identifizieren, der sich an ihre Fersen geheftet hatte. Nach einem weiteren Umweg gab sie es auf und fuhr direkt zu der Klinik, in der sie hoffentlich Geld gegen Medikamente tauschen konnte. Das Krankenhaus war für westliche Verhältnisse nicht mehr als eine große Praxis, konnte aber bis zu vierzig Patienten aufnehmen und hatte überaus engagierte Ärzte. Es war nur über einen Hinterhof zu erreichen, wo es einige Parkplätze direkt vor dem Eingang gab.
Sie stellte ihren Geländewagen neben einem klapprigen VW -Bus ab, der in jedem anderen Land als Risiko aus dem Verkehr gezogen werden würde, hier jedoch noch als Rettungswagen im Einsatz war. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie einen silbernen Volvo. Exakt dasselbe Modell war ihr morgens bereits vor ihrer Wohnung aufgefallen. Vergeblich versuchte sie, einen Blick auf den Fahrer zu erhaschen.
Mahmut, der Wachposten, dessen Frau sie vor einigen Monaten behandelt hatte und der wusste, wie sie ohne Schleier aussah, kam auf sie zu.
»Probleme, Madam Doktor?«
Die Anrede, auf die Mahmut bestand, brachte Jasmin sonst zum Schmunzeln, heute dominierte ihr ungutes Gefühl. »Ich bin mir nicht sicher. Siehst du den silbernen Volvo bei der Einfahrt? Ich glaube, der ist mir gefolgt.«
Seine Hand legte sich auf seinen Schlagstock. »Dann werde ich mir die Typen mal genauer ansehen. Gehe lieber schnell rein, Madam Doktor. Und wenn es dir nichts ausmacht, schicke mir Kaan raus.«
Der Gedanke an den zweiten Wachposten, dessen hünenhafte Gestalt furchteinflößend war und der dennoch das sanfte Gemüt eines Kindes besaß, brachte sie nun doch zum Lächeln. »Ich werde sehen, ob er bereit ist, sich kurz von seinen Comics zu trennen. Danke, Mahmut.«
Der Eingangsbereich war nicht mehr als ein kurzer Flur. Jasmin kannte nach zehn Minuten jede einzelne Fliese und tigerte weiter auf und ab, während sie auf die Rückkehr der beiden Wachen wartete. Vielleicht hätte sie sich doch lieber mit Vollgas aus dem Staub machen sollen. Andererseits gab sie damit eventuell eine ansonsten perfekt funktionierende Tarnung auf. Der Aufbau einer überzeugenden neuen Identität würde Monate dauern, deshalb gefiel ihr der Gedanke nicht. In der Zeit konnte sie kaum Medikamente und medizinische Ausrüstung erwerben und die ärztliche Versorgung für Hamids Dorf wäre noch länger nicht sichergestellt.
Endlich kehrten die Männer zurück. Mahmut war seine Besorgnis förmlich auf die Stirn gemeißelt, während Kaan sich mit einem freundlichen Gruß in den Raum mit seinem Frühstück und den Comics zurückzog.
»Das gefällt mir nicht, Madam Doktor. Das waren keine Afghanen, vielleicht Amerikaner. Ganz sicher bin ich mir nicht. Sie haben mir das Bild einer wunderschönen Frau mit blonden Haaren und grünen Augen gezeigt. Ich habe natürlich gesagt, dass die Dame auf dem Bild mir völlig unbekannt ist und keinerlei Ähnlichkeit mit Ihnen hat. Und ich habe darauf hingewiesen, dass dein Mann zwar gegen deine Tätigkeit ist, aber sich ansonsten schützend vor seine Frau stellen und jeden vernichten wird, der ihr zu nahe kommt oder sie belästigt. Sie schienen überzeugt und sind weggefahren.«
Damit hatte Mahmut ihr wertvolle Zeit verschafft, und ohne es zu wissen, ihre Vita zusätzlich bestätigt. Jetzt hatte sie die Chance, ihre Rolle bis zu ihrem nächsten Besuch in den Bergen weiterzuspielen und sich danach in aller Ruhe neu zu orientieren. »Ich
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