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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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passiert ist, hätte jeder passieren können. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort, das ist alles. Wenn du jemandem die Schuld geben willst, dann denen, die ihn beim ersten Mal haben laufen lassen.«
    »Wen haben laufen lassen?«
    »Den Zigeuner – wen denn sonst? Sie hatten ihn doch schon mal, kapierst du? Die Polizei
hatte
ihn doch schon wegen der Geschichte mit Kylie Coombe, aber dann haben sie ihn ja wieder laufen lassen. Wenn sie ihn nicht rausgelassen hätten, wäre er jetzt nicht über Angel hergefallen.«
    Ich sah sie an. Einen kurzen Moment war ich mir nicht sicher, welche Bill ich vor mir hatte. Ihr Gesicht schwankte zwischen zwei unterschiedlichen Persönlichkeiten hin und her: der alten Bill, die ich so gut gekannt hatte, und der neuen Bill, die mich anwiderte. Sie waren zwei verschiedene Menschen,sie waren dieselben, sie gingen ineinander über, halb die eine, halb die andere, ineinander verschmelzend und dann wieder auseinander fließend . . .
    Ich schüttelte die Vorstellung aus meinem Kopf.
    »Ich begreif dich nicht«, sagte ich erschöpft. »Wirklich nicht. In der einen Minute redest du halbwegs vernünftiges Zeug und in der nächsten lässt du so einen Mist raus wie eben.«
    »Was denn für einen Mist?«
    »Du hast doch
gesehen
, was während der Regatta passiert ist, Bill. Du warst doch da. Du hast es mit eigenen Augen gesehen. Wie kannst du dich selbst so belügen?« Ich seufzte. »Ich glaube, du hast zu viel Zeit mit den falschen Leuten verbracht.«
    »Du etwa nicht?«
    »Was soll denn das heißen?«
    Sie senkte den Blick. »Nichts.«
    Ich hatte die Nase voll. Es war alles zu verwirrend, zu unsinnig, da war zu viel Liebe und Hass, und das Ganze kräftig durcheinander gemixt. Es widerte mich an.
    »Ich glaube, ich geh lieber«, sagte ich.
    Bill sagte nichts, als ich aufstand und durch den Biergarten ging, aber ich spürte, wie sie hinter mir hersah. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Ich hatte keine Ahnung, was ich überhaupt noch von irgendwas halten sollte.
    Ich brachte mein leeres Glas zum Tresen zurück, dann ging ich hinüber zu Dad, um ihm zu sagen, dass ich verschwände. Er und Rita teilten sich eine Flasche Wein und Dominic saß ein bisschen abseits und hielt ein kleines Bier zwischen denHänden. Ein Stück Gaze war über die Wunde an seinem Kopf geklebt.
    »Habt ihr euch nett unterhalten?«, fragte Rita.
    »Ja, danke . . .« Dann wandte ich mich Dad zu. »Ich muss wieder zurück.«
    »Wann bist du fertig?«
    »Gegen sechs, schätze ich.«
    Er schaute zu Rita. »Dann sind wir bestimmt noch da, oder?«
    »Wahrscheinlich schon.«
    Dad wandte sich wieder mir zu. »Wir haben hinter der Bank am Ende der High Street geparkt. Wenn wir dich nicht am Stand abholen, sind wir im Auto. Okay?«
    Ich nickte, dann schaute ich zu Dom hinüber. In seinem Gesicht lag etwas, das ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Ein leicht besorgter, aber gelassener und beruhigender Ausdruck, der mich an den alten Dominic erinnerte. Das tat mir gut und ich konnte nicht anders, ich musste Dom zulächeln.
    »Bleibst du noch?«, fragte ich.
    »Wahrscheinlich«, antwortete er. »Ich komm später vorbei, wenn du magst. Sobald es ein bisschen ruhiger wird.«
    »Das wär schön.«
    Er lächelte. »Okay.«
    Im Fenster sah ich, wie Bill durch den Biergarten ging. Einen Moment fühlte ich den Drang, hinauszulaufen und noch einmal mit ihr zu reden, aber ich wusste, es würde nichts bringen, also drehte ich mich um und verschwand.

Sechzehn
    I m Lauf des Nachmittags zog sich der Himmel zu, die Luft war schwer und vom Geruch der See getränkt. Ein feiner silbrig-weißer Schleier dämpfte das grelle Sonnenlicht und vermittelte einen Eindruck von Kühle, aber das war auch schon alles. Die Hitze brannte noch genauso vom Himmel wie vorher. Wegen des salzigen Meergeruchs, der sich mit den Düften von gegrilltem Fleisch und Bier vermischte, und der heißen Luft, die alle Feuchtigkeit aus der Atmosphäre sog, wurde sehr viel getrunken. In den meisten Fällen bewirkte das nicht viel, aber ab und zu hallten betrunkene Rufe durch die Straßen und es hieß, dass es bereits zu ersten Raufereien gekommen sei. Normalerweise wäre mir das egal gewesen, doch nach allem, was in den letzten Tagen passiert war, machte es mich einigermaßen nervös. Außerdem schien nirgends Polizei zu sein. Von Lenny hatte ich jedenfalls bisher noch nichts gesehen . . . und wenn ich es mir genau überlegte, auch von den andern nichts. Vermutlich

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