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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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ich Dominic hinterher, wie er, die Hände in den Taschen und den Kopf hoch in die Luft gereckt, über die Straße davonschlenderte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es schien, als ob ich jedes Mal, wenn ich etwas verlor, etwas anderes fand. Ich hatte Bill verloren und Lucas gefunden. Dominic verloren, Bill gefunden. Bill wieder verloren und Dominic gefunden. Lucas verloren . . . Lucas verloren . . .
    Ich hatte Lucas verloren.
    Ich musste schwer schlucken, dann ging ich zurück zum Stand.
     
    In der nächsten guten Stunde war nicht viel Zeit, über irgendwas nachzudenken. Auf dem Fest war der Teufel los, die Sonne schien immer heißer und immer noch mehr Leute kamen. Es war unglaublich. Ich konnte nicht eine Minute verschnaufen. Kaum war ich mit dem einen Kunden fertig, stand schon der nächste da.
Wie viel kostet das? Was halten Sie davon? Warum sollte ich dem Tierschutzbund Geld spenden, wenn überall auf der Welt Kinder sterben? Warum tut ihr nichts gegen die Möwen? Wie steht ihr zum Angeln? Wo sind die Toiletten? Aus welchem Material ist das? Wo kann man am besten eine Eule kaufen? . . .
    Es fiel mir schwer, mit alldem klarzukommen. Zu viele Fragen, zu viele Menschen, die sich nicht die Mühe machten, mal selbst nachzudenken, zu viele von der Sonne verbrannte, halb besoffene Gesichter . . .
    Irgendwann, nach einer besonders unangenehmen Auseinandersetzung mit einem Jagdbefürworter aus der Gegend, schaute ich hoch und sah den seltsamen kleinen Jungen, der das Poster mit dem verhungernden Hund gekauft hatte. Mit seinem zusammengerollten Plakat in der Hand stand er da, sein Vater – der genauso aussah wie er – mit finsterem Blick daneben.
    Ich verlor allen Mut und schaute nach Simon, aber der war mit was anderem beschäftigt.
    »Was, glaubst du, ist das?«, sagte der Vater des Kindes.
    Ich sah ihn an. »Wie bitte?«
    »Das hier.« Er riss seinem Jungen das Poster aus der Hand und fuchtelte damit vor mir herum. »Was soll das, verflucht noch mal, sein?«
    Ich sah den Jungen an. Er fing wieder an zu weinen.
    Sein Vater sagte: »Ich könnte euch dafür drankriegen. Ich könnte euch mit dem Dingsbums kommen, mit dem Gesetz zur Produkthaftung. Eine verdammte Schande ist das. Schau dir das an. Das ist doch kein Hund, das ist ein verfluchter Kadaver. Hier, ein scheiß
Skelett
ist das. So was hängt mein Junge sich nicht an die Wand. Ich verlange mein Geld zurück
und
eine Entschuldigung. Ich will – hörst du mir überhaupt
zu

    Natürlich nicht. Ich starrte in die Ferne und beobachtete Jamie Tait, wie er auf einem verborgenen Trampelpfad am Ende der Straße verschwand, hinunter zum Strand. Sein Gesicht wurde vom Schirm einer Baseballkappe verdeckt und die Sonne schien mir genau in die Augen, aber es gab keinen Zweifel für mich – er war es. Und das Mädchen mit dem Bikinitop,das den Arm um seine Taille legte – das war Angel Dean. Als ich mich zur Seite beugte und durch das grelle Licht blinzelte, um besser sehen zu können, rollte ein weißer Mercedes mit verdunkelten Fensterscheiben die Straße hinunter und bremste genau vor dem Pfad, so dass er mir für einen Moment die Sicht nahm. Der Wagen blieb ein paar Sekunden stehen, dann fuhr er wieder an und schnurrte davon. Ich erhaschte noch einen kurzen Blick auf Jamie, wie er über die Schulter zurückschaute, und Angel, die sich hochreckte und an seinem Ohr schnupperte. Dann waren sie beide verschwunden und liefen im Dunkel der Bäume hinunter zum Strand. Ich hielt den Blick noch eine Weile auf den Pfad gerichtet und wiederholte die Szene in meinem Kopf, um sicher zu sein, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Aber ich wusste, ich irrte mich nicht.
    »Hey«, sagte der wütende Mann und schlug mit dem aufgerollten Plakat auf die Theke. »Hey, Mädchen   –«
    Ich riss mich vom Pfad los und schaute ihn an. Sein Gesicht war hochrot, seine Augäpfel wölbten sich weit vor und sein Sohn weinte sich die Seele aus dem Leib.
    »Jetzt hör mir mal gut zu   –«, fing er an.
    »Es tut mir Leid«, sagte ich. »Ich fühl mich nicht wohl. Wenn Sie vielleicht einen Moment warten könnten, ich hole jemanden, der das mit Ihnen klärt.«
    Und ich rief Mrs Reed, berichtete ihr, was passiert war, dann entschuldigte ich mich, verließ den Stand durch die Tür an der Rückseite und ging eine kleine Gasse hinauf dorthin, wo während des Sommerfests ein mobiles Toilettenhäuschen aufgestellt war. Ich öffnete die Tür und trat ein. Es roch nichtbesonders gut, aber

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