Lucas
hatten sie Wichtigeres zu tun – zum Beispiel in Moulton herumzulaufen und nach imaginären Triebtätern zu fahnden. Aber trotzdem hätte man eigentlich gedacht,dass sie irgendjemanden schicken würden, damit er das Fest im Auge behielt.
Wahrscheinlich war ich überempfindlich, aber für mein Gefühl schlich sich ein fieser Unterton in den Tag. Und das gefiel mir kein bisschen.
Obwohl Dominic ja gesagt hatte, dass er vorbeikommen und mich besuchen wolle, war ich doch überrascht, als er tatsächlich aufkreuzte. Das war gegen zwei. Am Stand war es gerade relativ ruhig, deshalb fragte ich Mrs Reed, ob ich kurz Pause machen könnte, dann gab ich Dom ein Zeichen, er solle mich hinten an der Rückwand des Stands abholen.
Er rauchte eine Zigarette und wirkte erhitzt. Das Stück Gaze klebte schlaff und verschwitzt auf seiner Stirn.
»Sieht hübsch aus.«
Er lächelte verlegen und fasste sich an den Verbandsstoff. »Jemand hat mir ein bisschen Verstand eingeprügelt.«
»Gerade noch rechtzeitig.«
»Ja . . . ich weiß.« Sein Gesicht wurde traurig. »Ich hatte es noch nie drauf, Menschen richtig einzuschätzen, stimmt’s?«
Ich sah ihn an. »Aber ich glaub kaum, dass du darüber reden willst.«
»Nicht wirklich – vielleicht später mal.«
Er zog an seiner Zigarette und drehte sich nach einem gut aussehenden Mädchen um, das eben an uns vorbeilief. Sie bemerkte seinen Blick und spielte die Schüchterne, indem sie die Augen niederschlug wie früher Prinzessin Diana, aber es war viel zu dick aufgetragen und funktionierte nicht. Eher wirkte es so, als hätte sie irgendwas mit den Augen.
Dom sah mich an. »Hast du von Lucas gehört?«
»Nein – ich schätze, er ist wohl weg.«
»Schade – ich hab gar keine Gelegenheit gehabt, mich bei ihm zu bedanken.«
»Ich auch nicht.«
»Vielleicht kommt er ja wieder, wenn sich hier alles beruhigt hat.«
»Das glaub ich nicht. Er gehört nicht zu denen, die es an einen Ort zurückzieht.«
»Aber vielleicht zu einer Person.«
Den gleichen Gedanken hatte ich auch schon gehabt, doch letztendlich zog er mich nur in eine Welt der Selbsttäuschung und darauf hatte ich ehrlich gesagt keine Lust. Nicht dass ich Probleme mit meiner Selbsteinschätzung hätte, ich war einfach nur realistisch. Ich bin okay, ich bin in Ordnung, ich seh ganz nett aus – aber ich bin nichts Besonderes. Warum, verdammt noch mal, sollte also jemand, der etwas Besonderes ist, ausgerechnet zu
mir
zurückkommen wollen?
Dom zündete sich eine neue Zigarette an.
»Du rauchst zu viel«, sagte ich.
»Du klingst genau wie –« Er verstummte und sein Kopf sackte nach unten, als plötzlich Jamie Tait und Sara Toms Arm in Arm um die Ecke des Stands bogen. Es drehte mir den Magen um. Natürlich war es unvermeidbar, früher oder später mal wieder mit Jamie zusammenzutreffen, und ich hatte auch versucht mich auf diese Situation vorzubereiten, indem ich mir sagte, beherrsch dich, bleib ruhig, sei tapfer, verlier nicht die Kontrolle . . . aber als ich ihn tatsächlich sah, versank all meine Tapferkeit blitzschnell im Erdboden. Angst,Schock, Abscheu, Scham . . . all das wog viel schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte. Und ihn zusammen mit Sara zu sehen, wie sie so ganz vertraut und gesittet daherkamen, machte alles noch schlimmer. Jamie hatte ein Nike-Muscleshirt und Badeshorts an, Sara trug einen langen Wickelrock über ihrem tief ausgeschnittenen Badeanzug.
»Ach, das ist ja nett«, sagte Jamie mit einem leichten Lispeln. »Wie geht’s, McCann? Was macht der Kopf?«
Dom blickte ihn an. »Dem geht’s vermutlich besser als deinem.«
Jamie zuckte zusammen. Sein Gesicht war voller Blutergüsse und Stiche. Eine hässliche Kerbe spaltete den Nasenflügel und die Nase selbst war verfärbt und geschwollen von Lucas’ Knie, das er Jamie voll ins Gesicht gerammt hatte. Auch der Mund war auf einer Seite geschwollen, und wenn Jamie lächelte, konnte man sehen, dass ihm ein Stück vom Vorderzahn fehlte. Das musste auch der Grund für sein Lispeln sein. Ich fragte mich, wie er wohl Sara seine Verletzungen erklärt hatte. Egal wie, mit der Wahrheit hatte es bestimmt nichts zu tun, da war ich sicher.
Er versuchte es locker zu nehmen, zuckte die Schultern und lächelte schief. »Aber wenn es verheilt ist, werd
ich
immerhin ein Gesicht haben, an das man sich erinnert.« Er sah mich an. »
Du
wirst es jedenfalls bestimmt nicht vergessen, oder, Caity?«
»Nein«, sagte ich und versuchte das Zittern in meiner
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