Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
Asche ins Feuer. Draußen war schwarze Nacht und der Sturm wütete noch immer. Ich hörte den Regen auf den Rasen schlagen und das Geräusch, mit dem die Blätter von der Ulme im Garten gerissen wurden.
    Dom seufzte. »Ich weiß nichts über Toms. Er ist ziemlich vertraut mit den Taits, deshalb würde es mich nicht wundern, wenn er wüsste, dass da
irgendwas
lief . . . aber ich bin mir nicht sicher. Ehrlich gesagt wusste ich ja selber nie richtig, was in der Bande alles abging.« Er wirkte verlegen. »Ich war nur . . . ich weiß nicht . . . sie sind ein unheimlicher Haufen, Cait. Vor allem Jamie und Sara. Anfangs fand ich, sie wären irgendwie aufregend, ich dachte, sie wären einfach gut drauf und hätten
Spaß
zusammen. Verstehst du? Ich hab nicht gedacht, dass etwas Schlimmes dahinter steckte. Wahrscheinlich hätte ich es besser wissen müssen . . .« Er schüttelte den Kopf. »Gott, wie dumm kann man sein?«
    Ich stand auf, trat ans Fenster und spürte, wie Dom mich beobachtete. Ich fragte mich, was er von mir hören wollte.
Ist schon in Ordnung? Wir machen alle Fehler? Ich vergebe dir?
    Ich zog den Vorhang zurück und schaute auf den Hof. Im Fenster sah ich mein Spiegelbild schimmern, dahinter Dads Wagen als hellen Fleck, der im Regen zitterte. Alles andereverlor sich im Sturm. Es gab nichts zu sehen, nichts zu sagen und nichts, wohin man hätte gehen können. Man konnte nichts tun außer warten.
    Ich ließ den Vorhang aus der Hand gleiten und ging zum Lehnstuhl zurück.
    »Glaubst du, er ist da draußen?«, fragte Dom leise.
    »Lucas?«
    Er nickte.
    Ich rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander und stellte mir vor, wie sich die geschnitzte Figur anfühlte, und ich erinnerte mich an Lucas’ Stimme:
Sei nicht zu streng mit deinem Bruder. Und versuch, dir keine Sorgen zu machen. Ich werde immer in der Nähe sein . . .
    War er immer noch irgendwo da draußen? Am Strand, im Wald, nass und kalt, müde und hungrig, sich im Dunkel versteckend wie ein gejagtes Tier . . .? Um seinetwillen
wollte
ich hoffen, dass er nicht mehr da war, aber tief im Innern konnte ich einfach nicht anders als hoffen, er wäre noch da. Es war egoistisch, sich so was zu wünschen, ich weiß – egoistisch, herzlos, dumm und grausam   –, aber was sollte ich dagegen machen?
    Man kann sich doch nicht selbst daran hindern, etwas zu wollen, oder?
     
    Der Abend zog sich hin und der Sturm machte keine Anstalten nachzulassen. Ich weiß nicht, wie lange wir dasaßen, fast ohne zu reden, nur darauf wartend, dass etwas geschah, es kam mir ewig vor. Immer mal wieder stand einer auf und ging ins Badezimmer, machte Kaffee oder schenkte sich – in DomsFall – noch einen Whiskey ein, und dann kam, wer eben aufgestanden war, zurück und setzte sich wieder.
    »Jemand angerufen?«
    »Nein.«
    Dom versuchte noch einige Male Shev zu erreichen, aber das Handy war immer noch abgeschaltet. Und wenn er Lenny anrief, bekam er jedes Mal nur die automatische Ansage, dass alle Verbindungen zum Festland vorübergehend nicht erreichbar seien. Sogar der Anschluss von Rita und Bill war tot. Wir waren allein. Nur ich, Dom, Deefer, tausend hässliche Gedanken und dazu das endlose Tosen von Donner und Regen.
     
    Es war nach Mitternacht, als sich plötzlich Deefers Ohren aufstellten und er aus tiefer Kehle ein Knurren hören ließ. Dann warf er den Kopf herum Richtung Einfahrt und gab ein kurzes, raues Bellen von sich. Ich hatte gewusst, dass es geschehen würde, trotzdem zuckte ich zusammen. Dom stand auf und griff nach dem Baseballschläger, der an der Wand lehnte.
    »Das wird Dad sein«, behauptete ich.
    Er ging hinüber zum Fenster und zog den Vorhang zurück. Deefer kletterte vom Sofa und bewegte sich steif zur Tür. Er knurrte und sein Fell sträubte sich.
    »Lass ihn raus«, sagte Dom.
    Ich öffnete die Tür und ließ Deefer hinaus in den Flur. An der Tür fing er laut an zu bellen. Ich hörte noch immer nichts außer dem Sturm, aber durch den Milchglaseinsatz in der Tür sah ich den Doppelstrahl gelber Scheinwerfer über den Hofschwenken. Ein paar Sekunden später gingen die Scheinwerfer aus und Deefer hörte auf zu bellen.
    »Wer ist es?«, rief ich Dom zu. »Ist es Dad?«
    »Ich kann nichts sehen. Sieht aus wie ein Lieferwagen . . . komm lieber wieder her.«
    Ich ging zurück in das vordere Zimmer und stellte mich neben Dom ans Fenster. Er stand da, das Gesicht gegen das Glas gedrückt und den Baseballschläger fest im Griff hinter seinem Rücken. Ich krümmte

Weitere Kostenlose Bücher