Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
alles ist verändert. Die Veränderungen sind so minimal, dass er sie anfangs gar nicht bemerkt – trotzdem spürt er,
irgendwas
stimmt nicht so richtig.
    Es liegt etwas Gruseliges in der Luft.
    Genau so empfand ich es an jenem Nachmittag. Es war nicht wirklich gruselig, aber irgendwas stimmte nicht so richtig. Ein eigenartiger Geruch lag in der Luft, dieser feine metallische Duft von Regen auf Steinen. Die Bäume standen unnatürlich still da. Der Boden unter meinen Füßen fühlte sich zu hart und zu weit weg an. Selbst Deefer verhielt sich ganz anders, als es sonst seine Art war. Statt loszujagen wie ein besessener Wolf lief er an meiner Seite und zeigte so gut wie kein Interesse, irgendetwas zu beschnuppern. Die ganze Zeit sprang sein Blick hin und her, er betrachtete alles, als hätte er es noch nie zuvor gesehen.
    Es war ein unheimliches Gefühl und ich wusste, dass mehr als nur Angst dahinter steckte. Es war so ein Gefühl, wie man es bekommt, wenn man weiß, gleich passiert was, etwas, wonach du dich lange gesehnt hast, aber jetzt, da es endlich in Reichweite liegt, bist du dir plötzlich nicht mehr so sicher . . .
    Als ich zu der Brücke über die schmale Bucht kam, blieb ich eine Weile stehen, um mich zu beruhigen. Deefer setzte sich neben mich und schnupperte behutsam die Luft, währendich ziemlich lange herumschaute und mich versicherte, dass sich niemand auf dem Uferstreifen befand. Die Luft war schwül und stickig, und während ich das Gebiet um den Bunker absuchte und dann hinaus aufs Meer blickte, fächelte ich mir vorn mit dem Shirt etwas Luft zu und seufzte bei der kühlen Brise auf meiner Haut. Der Strand war verlassen und die See lag ruhig und leer da. Keine Bewegung, keine Schwimmer, nur endlos weit das gekräuselte blaue Wasser, gesprenkelt von glitzerndem Sonnenlicht.
    Manchmal, wenn die See so ruhig ist, vermittelt sie eine Tiefe, die mich an ein Für-immer denken lässt.
    Ich wandte meinen Blick zurück zum Strand.
    Ein Stück Richtung Westen gab es ein farbenprächtiges Bild: das Rot der Klippen, das vor dem Himmel verschwamm, Drachen, die in der Ferne über dem Country Park flogen, das saftige Grün der Wiesen ringsum, das Pastellgelb des Sandstrands. Die entlegenen Salzwiesen wirkten in der Hitze zwar trist und karg, aber selbst dort gab es Farbe. Tausende kleine Blumen hatten zu blühen begonnen und bildeten einen rosa Schleier, der in der Luft zu schweben schien.
    Nach Osten war das Bild anders.
    Hier wirkten die Farben urzeitlich streng: das kalte Grau des Point, das ewige Braun des Watts und dahinter die geduckte Dunkelheit des Waldes, ein lichtloses Dickicht aus schwärzlichem Umbra und geisterhaftem Grün. Das Watt schimmerte gespenstisch im Sonnenlicht, es warf einen matten Schein zurück, der die Luft besänftigte. Dadurch wirkte es fast harmlos. Aber genau das ist es, was das Watt so gefährlich macht. Unbesonnenen Menschen erscheint es bloß als ein weit gestrecktesStück schmierigen braunen Schlamms. Etwas, das man vielleicht lieber meidet. Ein bisschen unangenehm . . . ein bisschen schmutzig. Aber es ist viel mehr als das – das Watt ist tödlich. Einen Schritt in die falsche Richtung und dein Körper sinkt hinab in die luftlosen Tiefen und taucht nie wieder auf.
    Deefer schnupperte an meinem Bein und winselte.
    »Also gut, Junge«, sagte ich. »Gehen wir.«
    Wir liefen in Richtung Point und gingen immer am Ufer entlang bis zu der breiten Bucht, die am Watt liegt. Die Bucht steigt zum Ufer sanft an und endet in einem breiten Streifen aus muschelbesetztem Schwemmsand, dahinter verläuft ein Netz aus schlammigen Spuren, die sich zwischen Dünen, Ginster und Büscheln von Strandhafer durchwinden, bevor sie zurück zu der Brücke über die schmale Gezeitenbucht führen.
    Deefer sprang in einer der Spuren davon, ich folgte ihm.
    Selbst wenn das Wetter gut ist, ist es schwer, diesen Pfaden zu folgen. Der Schlamm ist an der Oberfläche rutschig und klebt an den Füßen, dazu narren die Dünen und Gräser den Orientierungssinn. Viele Spuren werden mit der Zeit immer undeutlicher und enden im Nichts. Andere schluckt der Strandhafer oder auf einmal blockiert ein Tümpel den Weg. Es ist nicht gerade leicht und auch nicht sehr sauber, dort herumzulaufen, trotzdem ist es schön.
    Ich ging langsam und sog die Sonne und die Stille ein, ab und zu blieb ich stehen, um in die Tümpel zu starren oder kleine Vögel zu beobachten, die im Ginster herumflatterten. Kaninchen hoppelten durch die

Weitere Kostenlose Bücher