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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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der Leitung. Ich stellte mir vor, wie Simon zu Hause auf der Bank im düsteren Flur des zugigen Bauernhauses saß und das Telefonkabel beharrlich um seine Finger wickelte, die Haare fielen ihm über die Augen und seine Mutter hörte von der Küche aus alles mit . . .
    Dann hörte ich, wie er sich räusperte. »Bist du noch dran?«
    »Ja . . . ’tschuldigung. Ich hab gerade überlegt . . .«
    »Was denn?«
    »Ach, nichts.«
    »Oh.«
    Deefer kam herüber und setzte sich neben mich. Ich kraulte ihm den Kopf und er ließ sich schwerfällig auf den Boden sinken. Im Hörer bekam ich mit, wie Simon sich wieder räusperte, dann schniefte er und klopfte mit den Fingern gegen die Sprechmuschel.
    »Ehm«, sagte er zögernd. »Ist morgen noch immer okay für dich?«
    »Wie?«
    »Die Poster und so – für das Sommerfest. Ich wollte vorbeikommen, erinnerst du dich?«
    »O ja, richtig. Um sechs.«
    »Ich bring die Entwürfe mit, von denen ich erzählt habe.«
    »Okay.«
    »Hast du das Papier gekriegt?«
    »Was für Papier?«
    »Du wolltest ein paar Bögen DIN-A 1-Zeichenpapier besorgen.«
    »Ach ja. Nein, tut mir Leid . . . ich bin da nicht hingekommen. Ich wollte   –«
    »Ist schon in Ordnung. Ich bring was anderes mit.«
    »Tut mir Leid.«
    »Macht nichts – wirklich.«
    »Okay . . . also, dann treffen wir uns morgen.«
    »So gegen sechs?«
    »Ja.«
    »Ganz sicher?«
    »Ja, gut. Morgen um sechs.«
    »Okay . . . also bis dann.«
    »Okay.«
    »Um sechs.«
    »Yep.«
    »Punkt sechs.«
    »Punkt sechs.«
    »Okay – tschüs.«
    »Tschüs.«
    Ich legte den Hörer auf und ging in die Küche. Der Boden fühlte sich kalt an unter den Füßen. Der Kühlschrank brummte. Durchs Fenster sah ich ein flackerndes blutrotes Licht vor dem Horizont, ein schwaches Blinken, das vom Meer widergespiegelt wurde. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Es war dunkel. Ich wusste nicht, was das flackernde Licht zu bedeuten hatte – ein Schiff vielleicht? Oder irgendwas im Meer,Plankton, Fische . . .? Als ich dastand und aus dem Fenster sah, verschwamm das Licht langsam in der Dunkelheit.
    Es musste meine Einbildung gewesen sein.
    Ich dachte an Simon.
    (. . . an den Jungen.)
    Ich dachte an Simon.
    (. . . an den Jungen.)
    Ich dachte an Simon.
    Es war jedes Mal dasselbe, wenn er mich besuchen wollte – immer musste es einen
Grund
geben: Poster, Aufkleber, Flugblätter, Eingaben gegen Öltanker, Wohnwagenparks oder sonst was. Er brachte es nie fertig, einfach herüberzukommen und zu sagen:
Cait, ich will dich sehen.
    Ich denke, es hätte mich aufregen sollen. Na ja, vielleicht nicht richtig
aufregen
, aber es hätte mir was ausmachen sollen. Ich hätte zumindest
irgendwas
spüren sollen – Ärger, Frust, Wut, Trauer   –, aber ich fühlte nichts. Denn genau in dem Moment, als ich am Küchenfenster stand und in die Nacht hinausblickte, konnte ich nur an eins denken: an den Jungen. Der Junge aus dem Nichts, der Junge, mit dem ich nie gesprochen hatte, der Junge, über den ich nichts wusste . . .
    Der Junge.

Vier
    I ch finde nicht, dass man auf Mut besonders stolz sein kann. Normalerweise geht es doch einfach nur um die Frage, etwas zu tun, was man eigentlich nicht will, um so etwas anderes zu vermeiden, das man noch weniger will. In meinem Fall merkte ich, dass ich, wenn ich es nicht fertig brachte, wieder an den Strand zu gehen, den Rest des Sommers zu Hause bleiben müsste, bis mir der Kopf platzte. Deshalb überwand ich mich am Freitagnachmittag, nachdem ich ein paar Stunden aus dem Fenster meines Zimmers gestarrt hatte. Ich ging nach unten, rief Deefer und brach auf, um die Erinnerung an Jamie Tait auszutreiben.
    Es war vier Uhr.
    Als ich den Weg hinunterging, konnte ich richtig spüren, wie mir vor Angst im Innern ein Knoten wuchs, und je näher ich zum Strand kam, desto nervöser wurde ich. Ich wusste, dass es völlig irrational war, dass nichts da sein würde, wovor ich Angst haben müsste, aber das änderte nichts. Eine abartig flatterige Unruhe kribbelte in meinem Magen und ich hatte dieses seltsame Gefühl, das man spürt, wenn man sich in vertrauten Spuren bewegt und alles um einen herum erscheintplötzlich fremd. Du weißt nicht, was anders ist, du kannst nicht den Finger drauflegen, aber du weißt genau,
irgendwas
ist nicht in Ordnung. Es ist wie in einer dieser Sciencefiction-Geschichten, in denen jemand in der Zeit zurückwandert und tritt plötzlich auf eine Ameise oder einen Schmetterling, und dann kommt er zurück in die Gegenwart und

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