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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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ich es jetzt tat. Ich holtetief Luft und fuhr fort. »Es gibt einen einsamen Abschnitt auf der Strecke, ungefähr fünf Kilometer von der Insel entfernt. Die Straße führt durch einen Wald auf einem Hügel. Wahrscheinlich bist du an der Stelle vorbeigegangen, wenn du aus Moulton gekommen bist.«
    Lucas nickte. »Ein Kiefernwald?«
    »Genau. Es gibt dort am Fuß des Hügels eine scharfe Kurve . . . Sie müssen zu schnell gefahren sein oder so, vielleicht haben sie auch ein Stück Glatteis erwischt . . . keiner weiß es wirklich . . . wie auch immer, sie verloren die Kontrolle über den Wagen, kamen von der Straße ab, flogen über eine Böschung und krachten in eine Backsteinmauer. Mum war sofort tot.«
    »Und was war mit deinem Vater?«
    »Na ja, er hat nie wirklich drüber gesprochen, aber mein Bruder hat mir erzählt, dass nach dem Unfall wegen des schlechten Wetters und weil der Ort so abgelegen war, ungefähr eine Stunde verging, bis jemand einen Krankenwagen rief. Ein Autofahrer hielt zufällig an, um zu pinkeln oder so. Als er das Wrack sah, hat er den Notruf gewählt. Als der Krankenwagen endlich kam, saß mein Vater noch immer auf dem Beifahrersitz und hielt Mums Hand. Er hatte lauter Schnittwunden am Kopf und das Blut war auf der Haut getrocknet. Als ihn einer der Sanitäter fragte, ob er in Ordnung sei, sah ihn Dad nur an und sagte: ›Ich habe sie umgebracht. Gott verzeih mir. Ich habe sie umgebracht.‹«
    Das Feuer knackte und ein glühendes Stück Holz stob aus den Flammen. Lucas stieß es mit dem Fuß zurück.
    Dann sagte er: »Es ist immer schwer, jemanden zu verlieren.Da bleibt ein Loch in deinem Herzen, das nie verheilt.«
    Ich konnte eine Zeit lang nicht reden. Deefer lag neben mir auf dem Boden und ich beschäftigte mich damit, ihm die schweren grauen Haare auf dem Kopf glatt zu streichen. Sie waren nass und glänzend und fühlten sich an wie feiner Draht. Während ich ihn schön machte, schlossen sich Stück für Stück seine Augen. Auch ich fühlte mich ein bisschen schläfrig.
    »Magst du was essen?«, fragte Lucas nach einer Weile.
    »Ich kann wirklich nicht lange bleiben   –«
    »Es dauert nur eine Minute.«
    Ehe ich noch etwas sagen konnte, kramte er ein paar alte, ziemlich mitgenommen wirkende Bratpfannen hervor und befestigte sie über dem Feuer auf einem merkwürdigen Gestell aus Draht und Holz. Von irgendwoher tauchten auch noch eine zugebundene Ledertasche, ein Holzlöffel, die Feldflasche mit Trinkwasser auf und danach war Lucas beschäftigt, eine Mahlzeit geheimer Köstlichkeiten zu brutzeln. Während ich ihm zusah, dachte ich an all die Fragen, die ich ihm hatte stellen wollen, aber in diesem Moment schienen sie unwichtig. Sie hatten keine Bedeutung. Das Einzige, was eine Rolle spielte, waren ganz einfache Dinge   – Hitze, Kälte, Wind, Regen, Nahrung – und selbst die schienen nicht
besonders
wichtig zu sein. Solange die Erde sich drehte, würde es uns gut gehen.
    »Dein Bruder«, sagte Lucas und rührte in seinen Pfannen. »Ist das der mit den blondierten Haaren?«
    »Ja«, antwortete ich. »Woher weißt du das? Hast du ihn getroffen?«
    »Nein, ich hab ihn nur mal zu Gesicht gekriegt, das ist alles. Ich fand, er sah dir ein bisschen ähnlich.«
    »Vielen Dank.«
    »Ich hab nicht gesagt, er sieht
aus
wie du . . . du weißt schon, was ich meine.«
    »Ja, gut . . . solange du nicht glaubst, ich
bin
wie er.«
    »Warum? Verstehst du dich nicht mit ihm?«
    »Nein, zurzeit nicht.«
    »Wieso?«
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    Er rückte etwas über dem Feuer zurecht, dann setzte er sich daneben und drehte sich eine Zigarette. Er nahm sich Zeit und konzentrierte sich auf Tabak und Papier, bis alles in der richtigen Form war, dann steckte er sie sich in den Mund, zog einen Holzspan aus dem Feuer und zündete sie an.
    »Diese lange Geschichte«, sagte er und blies den Rauch aus. »Sie hat nicht zufällig etwas mit dem Muskelmann an den Klippen zu tun?«
    »Muskelmann?«
    »Der gut erzogene, tolle Typ mit den breiten Schultern   –«
    »Jamie Tait?«, sagte ich schockiert.
    Er grinste. »Klingt nach ihm.«
    »Was weißt du über ihn?«
    »Nicht viel. Ich hab ihn ein paarmal am Strand gesehen.«
    »Wann?«
    »Spätnachts meistens, wenn er mit den anderen Typen rumhing.«
    »Mit wem?«
    Er zuckte die Schultern. »Mit seiner reichen Freundin, demSteinewerfer und dessen Schwester, deinem Bruder, ein paar anderen, Rockern, jungen Mädchen, Mitläufern . . .« Er schaute zu mir. »Es

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