Lucas
reden. Deshalb bin ich dir gefolgt, damit du weißt, alles wird gut. Er wird ihr erklären, was passiert ist – beziehungsweise, inzwischen hat er es wohl schon getan. Du musst dir also keine Sorgen mehr machen. Sie wird nicht zur Polizei gehen.«
»Danke, das ist sehr nett von euch. Sag deinem Dad, dass ich es zu schätzen weiß.« Er trank einen Schluck Tee aus einem Blechbecher und schaute hinaus auf die Lichtung. Die Sonne war herausgekommen. Durch die Bäume schien ein mildes Licht, das auf dem Gras zitternde Schatten warf, und kleine Vögel zwitscherten im sonnenbeschienenen Buschwerk. Die Dunkelheit des Tages schien sich aufzulösen. Doch nicht für Lucas. Seinem Blick nach zu urteilen teilte er meine Meinung, dass alles gut werden würde, nicht.
»Ich bin sicher, alles kommt in Ordnung«, versuchte ich ihm zu beteuern.
»Tut mir Leid«, sagte er und wandte mir sein Gesicht zu.»Ich möchte nicht, dass du denkst, ich bin undankbar, es ist nur so, dass diese Dinge meistens an einem hängen bleiben, egal, was passiert.« Er wischte sich mit der Hand den Mund ab. »Was immer dein Dad sagt, die Polizei wird trotzdem mit mir reden wollen. Sie hat sowieso schon längst herumgeschnüffelt.«
»Wieso denn? Du hast doch gar nichts getan.«
Er lächelte wissend. »Die Menschen mögen es nicht, wenn sie nicht wissen, wer du bist. Sie mögen nicht, wenn etwas nicht in ihr Schema passt. So was erschreckt sie. Sie würden es lieber mit einem Monster aushalten, das sie kennen, als mit einem Geheimnis, das sie nicht kennen. An so einem Ort wie der Insel gewinnen Ängste schnell Halt und breiten sich aus. Sie ernähren sich selbst. Bald wird die Polizei anfangen mir Fragen zu stellen und dann fangen die Gerüchte an –«
»Aber Dad und ich können jedermann sagen, was passiert ist.«
»Das macht keinen Unterschied. Ich kenne mich aus hier. Ich weiß, wie das läuft.« Er fing an die Pfannen wegzuräumen. »Deshalb ist es einfach am besten, wenn man immer unterwegs ist.«
»Wie meinst du das? Willst du abhauen?«
»Nicht sofort. Aber in ein paar Tagen wird es anfangen, hier ungemütlich zu werden.«
»Vielleicht ja auch nicht.«
»Wart nur ab, es wird.«
»Aber was ist mit Dominic? Du hast gesagt, du wirst ein Auge auf ihn haben –«
»Das werde ich auch.«
»Wie lange?«
»Solange es dauert – einen Tag, zwei Tage, vielleicht noch ein bisschen länger. Ich pass schon auf ihn auf – mach dir darum keine Sorgen.«
Ich machte mir darum auch gar keine Sorgen – jedenfalls nicht in jenem Moment. Von mir aus konnte Dominic zur Hölle fahren. Ich wollte nur einfach nicht, dass Lucas ging. Aber was sollte ich sagen? Ich konnte ihm doch nicht erklären, wie ich empfand. Ich konnte ihn doch nicht
bitten
zu bleiben, oder? Er würde ja denken, ich wär verrückt.
»Warum bleibst du nicht bis nächsten Samstag?«, schlug ich vor.
»Was ist nächsten Samstag?«
»Das Sommerfest – es ist wirklich schön. Buden, Nippes, Musik . . .« Ich unterbrach mich und sah in das Lächeln auf seinem Gesicht. »Was ist?«
»Klingt nicht viel anders als die Regatta.«
»Doch, doch, es ist viel besser als die Regatta. Ehrlich, es würde dir gefallen.«
»Gibt es ein Floßrennen?«
»Nein, bestimmt nicht. Keine Rennen. Ich renn mich da höchstens für den Tierschutzbund ab, na ja,
abrennen
stimmt nicht ganz, aber ich bin da mit am Stand. Du könntest vorbeikommen und Hallo sagen . . .« Ich zögerte. »Ich meine, wenn du dann noch da bist . . . Ich könnte dir alles zeigen, wenn du Lust hast . . .«
Er lächelte wieder. »Kaufst du mir ein Eis?«
»Mal sehen.«
»Klingt verlockend . . .«
»Es würde bestimmt schön. Du könntest meinen Dad treffen.«
»Das würde ich gern.«
»Dann denkst du also drüber nach?«
»Ich werde drüber nachdenken.«
Er stand auf und stapelte seine Pfannen und anderen Utensilien außerhalb der Hütte, dann wischte er sich die Hände im feuchten Gras sauber und trocknete sie an seiner Hose ab. Ich trat hinaus und gesellte mich zu ihm. Auch wenn mir mein Verhalten ein bisschen peinlich vorkam, war ich doch froh, dass ich versucht hatte ihn zu überreden, bis Samstag zu bleiben. Ich hätte mich viel schlimmer gefühlt, wenn ich nichts unternommen hätte. Lucas schien auch glücklicher. Der besorgte Blick war aus seinen Augen verschwunden.
Als wir in der wärmenden Sonne standen und Deefer zuschauten, wie er in dem kleinen Bach herumsprang, und die Vögel im Hintergrund sangen und der
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