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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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nachdenke, möchte ich vor Scham im Erdboden versinken.
    Warum hab ich das
getan
?
    Wie konnte ich so eine blöde Kuh sein?
    Ich weiß es nicht.
    Ich wünschte, ich könnte sagen, ich wusste nicht, was ich tat, aber ich wusste es – ich wusste genau, was ich tat. Gerade das machte es so schrecklich.
     
    Es tut mir Leid, Simon.

Zwölf
    E s donnerte während der Nacht. Meistens grummelte es nur in der Ferne, aber manchmal knallte es plötzlich auch ganz in der Nähe und zerriss den Himmel mit einem gewaltigen schwarzen Gebrüll, das die Wände des Hauses erschütterte. Die Luft war heiß und schwer, aufgeladen mit elektrischer Spannung, und Träume verwüsteten meinen Schlaf. In einem tauchte ein Raum auf, ein gewaltiges Schlafzimmer, das einer riesigen schmutzigen Lagerhalle glich, vor den Fenstern hingen Gardinen, an der Decke Matratzen und es gab einen Teppich aus lauter Pillen. In dem gigantischen Schlafzimmer fand eine Party statt. Stampfende Dance Music dröhnte aus Lautsprechern, die von Wand zu Wand hingen, alle tranken, rauchten und lachten wie blöde. Grelle Lichter blitzten durch den Raum, der von der Musik erzitterte. Ich stand allein, mitten drin, und schaute umher, was ablief. In einer Ecke sah ich Simon, der sich mit Bill und Angel amüsierte. Er trug seinen abgewetzten alten Hut und seinen langen schwarzen Mantel, aber unter dem Mantel war er nackt. Bill und Angel hatten beide hochhackige Stiefel und sexy Unterwäsche an, sie krochen über seinen Körper und machtenmit ihren roten Lippen einen Kussmund, während sie seine Haare streichelten und an den Knöpfen seines Mantels zogen. Er tat so, als wollte er sie wegscheuchen, aber ich sah, wie sehr er es genoss. Er schaute mich die ganze Zeit an, um sicher zu sein, dass ich auch guckte. Vor der Wand gegenüber war ein Strandbereich aufgeschüttet, ein Streifen Sand, der zur Wand hin abfiel . . . aber die Wand war irgendwie das Meer. Sie tanzte in der Bewegung der Wellen und in der Ferne jagte ein grünes Rennboot stumm über den Horizont. Davor auf dem Sand bildete eine Gruppe von Mädchen in knappen Bikinis einen Halbkreis, klatschte in die Hände und lachte. Ich trat ein Stück zur Seite, um besser sehen zu können. Ich erblickte zwei Männer in Boots und Baggy-Shorts. Der eine war Jamie, der andere Dominic. Dominic lag mit dem Gesicht im Sand, Jamie saß auf seinem Hinterkopf. Der halbe Kopf war im Sand begraben, Dominics Augen waren ganz weiß.
    Dann sah ich die Schwäne.
    Es waren zwei. Sie liefen auf mich zu, jeder so groß wie ein Mensch, mit Boots ohne Sohlen, die ihnen um die zu langen Beine flappten, und Zigaretten, die sie in den Spitzen ihrer Flügel hielten. Beide hatten einen Menschenkopf, der an dem langen weißen Hals auf und ab nickte, und jeder Kopf war Lucas. Zuerst dachte ich, sie wären Zwillinge, und überlegte kurz, ob das der Grund war, warum er hier war: um nach seinem lange verschollenen Zwillingsbruder zu suchen. Dann merkte ich, dass sie beide ein und dieselbe Person waren. Sie waren in der Mitte verbunden. Sie hatten nur ein Flügelpaar. Sie waren beide Lucas. Er hatte zwei Köpfe.Der eine lächelte, aber der andere besaß überhaupt keinen Mund, nur eine dünne weiße Narbe, die waagrecht unter der Nase verlief . . . oder unter der Stelle, wo seine Nase hätte sein sollen. Denn es gab keine Nase, nur eine beinschwarze leere Höhle. Es waren auch keine Augen da. Kein Mund, keine Nase, keine Augen – nur ein mit Haut überzogener Schädel.
    Er war tot.
    Das
ist es, warum sie ihn nicht verletzen können, dachte ich. Er ist schon tot.
    Und mit diesem Gedanken verschwand der Raum und alles, was darin war.
     
    Ich sah eine Menge in jener Nacht. An einiges erinnere ich mich nicht mehr, anderes kann ich nicht mehr vergessen, aber alles war zu schmerzhaft, um darüber nachzudenken.
     
    Am Morgen war das Gewitter weitergezogen und die Luft schal und matt. Der Tag wirkte wie übrig geblieben. Reizbar und träge. Er wollte nicht in die Gänge kommen. Er war angespannt. Er hatte Kopfschmerzen. Die Sonne schien, aber das Licht war vorsichtshalber dunstverhangen und die Vögel schienen bemüht bloß nicht viel Lärm zu machen. Ich stellte mir vor, wie sie auf Zehenspitzen in den Bäumen herumtrippelten und einander leise zupfiffen wie Kinder, die sich anstrengen, lieber nicht ihren Vater zu stören nach der vergangenen Nacht.
    Ich stand auf und ging in Richtung Badezimmer.
    Das Haus wirkte deprimiert.
    Ich war deprimiert.
    Es gibt

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