Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
die Gänge komme.«
    »Ich auch«, sagte ich grinsend.
    Er verstand es erst nicht, dann zeigten seine Mundwinkel so etwas wie ein Lächeln. Es war nicht viel, aber besser als gar nichts.
    »Also«, sagte er schließlich und ging auf die Tür zu.
    Ich beobachtete ihn.
    Er ging schwer, die Schultern nach vorn gebeugt und den Blick zu Boden gerichtet. Als er an mir vorbeikam, zögerte er, dann blieb er stehen und ich spürte seine Hand auf meinem Arm. Eine minimale Berührung. Ich sah ihm in die Augen. Er hielt meinem Blick einen Moment stand, dann sagte er in einem gebrochenen Flüsterton: »Nichts davon hat irgendwas zu bedeuten, Cait.«
    Ich schüttelte den Kopf. Mir war nicht klar, was er meinte, aber ich wusste, er hatte Unrecht. »Tu’s nicht, Dom«, sagte ich. »Du weißt es doch besser.«
    Einen Moment flackerte eine Sorge in seinem Gesicht auf, dann blinzelte er und die Leblosigkeit kehrte zurück.
    »Bis später«, sagte er.
    Er ließ meinen Arm los, drehte sich um und ging hinaus.
    Ich horchte, wie seine nackten Füße über den Flur trotteten, dann schloss ich die Tür, setzte mich auf den Badewannenrand und schaute zu dem Bild an der Wand hoch. Der Elch war noch da, er trank noch immer leise aus dem See. Es ging ihm gut.
    Ich fragte mich, ob Elch-Gebete wohl auch bei Menschen wirkten.
     
    Der Rest des Tages bestand nur aus Warten. Ob er es glaubte oder nicht, Lucas war in Schwierigkeiten. Um sechs würde er aufhören zu arbeiten, über Joe Ramptons Weg hinunter zum Strand gehen und auf einmal vor Tait und Lee Brendell stehen. Große Schwierigkeiten. Irgendjemand musste ihm helfen. Er würde sich nicht selbst helfen können. Immer wieder ging ich die Alternativen durch – Dad alles sagen, Lenny Craine alles sagen, ich überlegte sogar, Joe Rampton anzurufen und ihm alles zu sagen   –, aber von welcher Seite ich es auch betrachtete, das Ergebnis sah immer gleich aus.
    Es hing an mir.
    Ich versuchte mich zu überzeugen, dass ich nichts Unüberlegtes täte, aber tief in mir drin wusste ich natürlich, dass ich genau das tat. Deine Zukunft steht fest. Manchmal kannst du sie sehen – du
kennst
sie. Vielleicht verstehst du sie nicht und vielleicht hast du auch kein Vertrauen in sie, aber irgendwo tief drinnen, in jenen unbekannten Gegenden, die dir sagen, was du tun sollst, weißt du, wohin du gehst, du weißt es die ganze Zeit.
    Ich wusste es.
    Als ich es mir endlich eingestanden hatte, musste ich nur noch warten.
    Also wartete ich.
    Nichts geschah, was die Zeit verkürzte, sie kroch einfach vor sich hin und wurde langsamer und langsamer . . . und langsamer . . . und langsamer, bis sich fünf Minuten in Stunden verwandelten und Stunden zu Tagen wurden und ich anfing zu glauben, dass irgendetwas nicht stimmte. Entweder irrten sich alle Uhren oder es war einfach zu heiß. Die Hitzehatte die Zeit geschmolzen und in Teer oder so was Ähnliches verwandelt . . . die Hitze machte die Zeit zu dick, um zu zerrinnen . . .
    Sie schmolz mein Gehirn.
    Gegen zwei Uhr legte ich mich auf das Sofa im vorderen Zimmer und schloss die Augen. Ich wusste, ich würde nicht einschlafen, ich war zu sehr unter Strom, aber ich dachte, es könnte vielleicht helfen, mich ein ganz kleines bisschen zu beruhigen . . .
     
    Ich wachte von Deefers feuchter Schnauze in meinem Gesicht auf. Einen Moment wusste ich nicht, wo ich war oder welchen Tag wir hatten, aber dann erinnerte ich mich und geriet in Panik. Ich schob Deefer aus dem Weg, rieb mir den Schlaf aus den Augen und schaute auf die Uhr. Sie ist ein klobiges altes Teil mit breiten Zeigern und großen, fetten römischen Ziffern. Und manchmal ist sie wirklich schwer zu lesen. Einen Augenblick glaubte ich, sie würde zwanzig nach zwölf zeigen. O Gott, dachte ich, ich habe zehn Stunden geschlafen . . . dann merkte ich, dass ich die Zeiger durcheinander gebracht hatte und es in Wahrheit vier Uhr war.
    Ich atmete einmal tief aus.
    Vier Uhr war aber knapp genug.
    Ich machte mich auf in Richtung Joe Ramptons Weg.
     
    Das Sonnenlicht schimmerte durch die Zweige der Pappeln am Weg, und als ich auf die Brücke über die schmale Bucht zulief, spürte ich den Schweiß auf meiner Stirn. Stechmücken schwirrten durch die Luft, angezogen von meinem erhitztenKörper, Wolken anderer kleiner Insekten schwärmten still um meinen Kopf.
    Ich ging langsam, nahm mir Zeit.
    Ich wusste nicht, was ich tat.
    Der einzige klare Gedanke in meinem Kopf war, Joe Ramptons Weg vor allen andern zu erreichen, mich zu

Weitere Kostenlose Bücher