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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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verstecken und dann abzuwarten. Und dann . . . Ich wollte nicht darüber nachdenken.
    Joes Weg läuft fast parallel zu unserem. Er beginnt bei seinem Hof, windet sich von dort durch einen Flickenteppich von Feldern und führt schließlich direkt hinunter zum Strand, wo er an einer flachen Stelle der schmalen Bucht endet, genau dort, wo sie gegenüber dem Bunker einen Knick macht. Das meiste Land zwischen den beiden Wegen besteht aus Feldern, aber im unteren Viertel gibt es ein kleines Waldstück, das sich vom einen Weg bis zum andern erstreckt. Es ist nicht weiter bemerkenswert, denn es besteht nur aus wild wuchernden spirreligen Bäumen, von denen die meisten aussehen, als würde sie der nächste Windstoß umknicken. Aber wenn man vom einen Weg zum andern will ohne erst bis zum Strand hinunterzulaufen, kommt man hier gut rüber.
    Die Bäume vor Augen kletterte ich die Böschung hinauf, zwängte mich oben durch eine Lücke in der Hecke und stieß dahinter auf ein Kornfeld. Ich lief den Feldrain entlang bis zu einem Stacheldrahtzaun am unteren Ende und stieg vorsichtig drüber, dann rutschte ich eine staubige Böschung hinab und war da – im Wald. Er wirkte wie eine andere Welt. Obwohl die Bäume nicht groß genug waren, um Schatten zu spenden, war das Licht gedämpft und die Luft plötzlich kühl.Es war so ein Licht, wie man es von den struppigen kleinen Wäldern kennt, die an Autobahnen wachsen – kalt und vergessen. Es besaß keine Kraft, man hatte das Gefühl, es sei fertig mit der Welt, als würde es sich sagen: Was soll’s? Hier ist nichts . . . Warum scheinen, wenn es nichts gibt, das man bescheinen könnte?
    Ich schlängelte mich mitten hinein in den Wald und lief los. Es gab keinen Pfad, aber der Boden war so spärlich bewachsen, dass ich auch keinen brauchte. Obwohl Joes Weg nicht zu sehen war, konnte ich doch in der Ferne das Haus erkennen und weiter im Osten spiegelte sich das Sonnenlicht in der Bucht, also musste ich nur auf einen Punkt in der Mitte zwischen Haus und Bucht zuhalten, dann würde ich schon irgendwo auf den Weg stoßen.
    Der Boden unter meinen Füßen war trocken und staubig. Die Luft war kühl und still und weder Stechmücken noch sonstige Insekten ärgerten mich. Es gab überhaupt kein Anzeichen von Leben. Keine Vögel, keine Blumen, nichts. Der Wald war kahl und schwieg.
    Ich ging weiter.
    Der Weg war nicht weit weg, trotzdem dauerte es irgendwie lange, bis ich ankam. An einer Stelle sank der Boden ab und führte in ein Sumpfgebiet voller verrotteter Baumstämme und morastiger Tümpel und ich lief erst eine Weile im Kreis, ehe ich einen sicheren Weg hindurch fand. Als ich schließlich wieder trockenen Boden unter den Füßen spürte, wusste ich nicht mehr, wo ich war. Ich kletterte auf einen kleinen Hügel, sah mich um und versuchte herauszufinden, wo der Weg entlangführte, aber auf einmal sah alles ganz andersaus. Meine Perspektive hatte sich verändert. Die Bäume wirkten erst größer, dann kleiner. Der Himmel war grauer. Der Horizont lag in der falschen Richtung . . . dann plötzlich, als ich gerade dachte, ich hätte mich verirrt, machte es Klick und alles rückte wieder an seine Stelle. Es war wie so ein Magisches-Auge-Bild. Im einen Moment starrte ich noch hoffnungslos auf ein verschwommenes Wirrwarr aus lauter sinnlosen Mustern, doch in der nächsten Sekunde ergab sich aus ihnen ein erkennbares Bild und ich starrte an den Bäumen vorbei auf ein hölzernes Tor, das zehn Meter von mir entfernt in eine wuchernde Hecke gesetzt worden war.
    Aus Angst, es könnte wieder verschwinden, hielt ich den Blick fest auf das Tor gebannt und rannte zwischen den Bäumen hindurch. Langsam verschwand jetzt die Stille. Ich hörte Farmgeräusche. Ein leises Hühnerscharren. Einen Traktor irgendwo auf den Feldern und jenseits davon ein fernes metallisches Hämmern, als würde jemand auf ein Stück Eisen schlagen. Ich überlegte, ob es wohl Lucas war. Was machte er gerade, falls er es war? Ein Scheunendach reparieren? Zaunpfähle einschlagen? Was auch immer, jedenfalls stellte ich mir vor, dass ihm heiß war. Und er hatte vermutlich Durst, er war müde und verschwitzt . . .
    Ich stieg über das Tor und ließ mich hinunter auf Joes Weg.
    Jetzt, als ich aus dem Wald heraustrat, strahlte das Licht wieder heller und Joes Weg wirkte üppig und farbenfroh. Die hohen Hecken auf beiden Seiten waren voller Blüten und Beeren und die Luft roch süß nach Geißblatt. Schmetterlinge flatterten in der Wärme

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