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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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umher. Als Kind war ich oft hier gewesen, manchmal mit Dad, manchmal mit Bill, ab und zuauch allein. Es war schön, hier spazieren zu gehen, vor allem im Sommer, wenn die Schmetterlinge unterwegs waren. Ich hatte mich in dieser Gegend immer zu Hause gefühlt. Doch jetzt war ich schon länger nicht mehr da gewesen, die Form des Wegs schien sich gewandelt zu haben. Sie wirkte ganz anders. Ich bin mir nicht sicher,
wodurch
– vielleicht lag es auch nur an meinem Zustand   –, aber alles schien plötzlich ganz unvertraut. Der Weg war schmaler, als ich es in Erinnerung hatte, seine Ränder waren überwuchert und die Hecken zu hoch, um drüber wegschauen zu können. Deshalb war es mir fast unmöglich festzustellen, wo genau ich mich eigentlich befand. Und nicht nur das, ich wusste auch nicht, wo Jamie Tait und die andern vorhatten Lucas aufzulauern.
    Ich stand eine Weile da und überlegte.
    Sie würden wohl nicht aus der Richtung des Farmhauses kommen. Da war ich mir ziemlich sicher. Wenn sie das machten, gingen sie nämlich das Risiko ein, Lucas zu verpassen. Wenn sie nicht wie ich unseren Weg herunterkamen und dann quer durch den Wald liefen, blieb nur die Möglichkeit, unten vom Strand heraufzukommen. Dass sie nicht durch den Wald liefen, sah ich . . . nein, sie würden bestimmt über den Strand kommen. Sie mussten es einfach. Es war der einzige Weg, der übrig blieb.
    Ich wandte mich wieder dem Tor zu und kletterte hoch. Indem ich dicht bei der Hecke blieb und einen Hagedornzweig zu packen bekam, an dem ich mich notdürftig festhielt, schaffte ich es, mich oben auf das Tor zu stellen. Ich fühlte mich zwar nicht besonders sicher dabei, aber wenigstens hatte ich einen brauchbaren Blick auf die Umgebung. Linkssah ich, wie sich der Weg hinunter in Richtung Meer wand. Den Strand selbst konnte ich nicht erkennen und auch nicht die Stelle, wo der Weg aus dem Wald kam, dennoch war klar, dass sie nicht allzu weit weg war. In der anderen Richtung sah ich die ferne Silhouette von Joes Farmhaus, umgeben von Ställen und Nebengebäuden, und von dort aus konnte ich die Spur des Wegs durch ein Labyrinth bunter Felder verfolgen. Es gab Rechtecke mit leuchtend gelbem Raps, das Blau des Borretsch und goldenes Korn . . . aber nirgends entdeckte ich Lucas. Ich reckte mich noch höher, stand auf Zehenspitzen und suchte die Felder ab . . . Plötzlich fing das Tor an zu wackeln, ich kam wieder zu Sinnen und kletterte vorsichtig herunter.
    Ich hatte gesehen, was ich brauchte.
    Meiner Meinung nach würden Jamie, Lee und Dom über den Strand kommen, dann den Weg hochlaufen und Lucas irgendwo zwischen Tor und Farmhaus auflauern. Sie konnten sich gar nicht leisten, unten am Weg zu warten, weil es ja durchaus möglich war, dass Lucas am Tor abbog und den Pfad durch den Wald nahm. Dom kannte das Tor und ich ging davon aus, Jamie und Lee auch. Aber selbst wenn nicht, vermutete ich, dass sie sich Lucas dort schnappen wollten, wo es ruhig war und sie ihr Ding ungestört durchziehen konnten.
    Ich schaute mich um. Der Weg war schmal, von keiner Richtung einzusehen, niemand kam hier je vorbei . . . die Stelle war wie geschaffen für ihren Plan.
    Ich suchte nach einem Versteck, lief ein bisschen den Weg hinunter, prüfte die Hecken, dann wandte ich mich zurück Richtung Farmhaus. Ich wusste nicht genau, was ich mir eigentlichvorstellte, und nahm an, es würde bestimmt eine Weile dauern, bis ich das Geeignete fand, aber nach wenigen Minuten stand ich auf einmal davor. Die Stelle lag nur wenige Schritte vom Tor entfernt rechts hoch – die Hecke war hier merkwürdig ausgedünnt und die Böschung niedrig genug, dass ich ohne große Probleme zu dem Feld auf der anderen Seite kam. Ich hatte nur T-Shirt und Shorts an, und nachdem ich mich durch die Hecke gezwängt hatte, waren meine Arme und Beine total zerkratzt. Das Feld auf der anderen Seite stand voller hoher Maisstängel. Ich suchte einen Platz, wo der Mais besonders dicht wuchs, und hockte mich zwischen die Stängel, die in dichten Reihen parallel zu der abgesenkten Böschung standen. Es war perfekt. Ich konnte hinunter auf den Weg schauen, aber niemand sah mich.
    Es war still. Ich konnte alle Geräusche hören, die man normalerweise nicht hört – das Rascheln unsichtbarer Mäuse, das Rufen der Insekten, die Meeresbrise, die in der Luft wisperte. Es war auch bequem. Der Boden war schattig und weich und der Mais hatte einen angenehmen Duft. Wenn die Umstände nicht so furchtbar gewesen wären, hätte

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