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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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zweiter Fehler war, nach den Shorts zu greifen, während ich fiel, anstatt eine Hand auszustrecken, um meinen Sturz abzufedern. Wenn ich sie ausgestreckt hätte, wäre mein Knie nicht auf das scharf gezackte Stück Blech gefallen, das halb vergraben im Boden lag. Das scharf gezackte Stück Blech hätte sich mir deshalb auch nicht tief in die Haut gebohrt und ich hätte vor Schmerz nicht laut aufgeschrien. Ohne den lauten Schmerzensschrei wiederum hätte niemand gewusst, dass ich überhaupt da war. Und ich hätte nicht halb nackt in einem Maisfeld gelegen, als Jamie Tait über die Hecke stieg und mich aus seinen betrunkenen Augen gierig anstarrte.

Dreizehn
    E s gelang mir, meine Shorts hochzuziehen, ehe Jamie richtig hingucken konnte, dann rappelte ich mich auf. Ein scharfer Schmerz stach mir ins Knie. Ich schaute nach unten und sah aus einer tiefen Wunde Blut strömen. Das Fluchen einer betrunkenen Stimme ließ mich wieder aufblicken. Jamie kam schwankend auf mich zu, trank aus der Whiskeyflasche und leckte sich die Lippen. Er stolperte über seine Füße. Sein Gesicht war rot vom Trinken und seine Augen zusammengezogen zu schmalen Schlitzen. Sie erfassten mich wie Laserstrahlen.
    »Schau dir das an«, sagte er. »Schau dir
das
an . . .«
    »Bleib stehen«, sagte ich zu ihm und wich zurück.
    Er lachte. »Warum – was wirst du sonst machen? Deinen Hund auf mich hetzen? Wuff, wuff . . .« Kurz bevor er mich erreichte, blieb er stehen und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. Der Whiskey lief ihm aus dem Mund. »Hier«, sagte er und hielt mir die Flasche hin. »Willse ’n Schluck? Trink ma . . . na mach schon.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Was is los? Hä? Schau dich doch ma an . . .« Er wischtesich über den Mund, betrachtete mich von oben bis unten und nickte in Richtung meines Knies. »Übel . . . soll ich’s küssen, damit’s besser wird? Soll ich ’n bisschen saugen?«
    »Lass mich in Ruhe.«
    Er grinste und kam noch einen Schritt näher. Mein Herz trommelte, meine Kehle war trocken. Noch nie im Leben hatte ich solche Angst gehabt. Ich wich noch ein Stück zurück und fragte mich, wo, verflucht noch mal, Dominic steckte. Über Jamies Schulter hinweg sah ich Lee Brendell, der regungslos dastand und alles durch die Lücke in der Hecke beobachtete, nur von Dominic war weit und breit nichts zu sehen. Brendell warf immer wieder einen Blick hinter sich, hinunter auf den Weg. Ich befürchtete das Schlimmste.
    »Dominic!«, rief ich. »
DOMINIC!
«
    Jamie blieb stehen. »Halt die Klappe«, sagte er leise.
    Ich rief wieder: »Domin–«, aber ehe ich fertig war, trat Jamie auf mich zu und knallte mir eine ins Gesicht. Es schmerzte gar nicht so stark, doch der Schock war absolut lähmend. Er hatte mich geschlagen. Er hatte mich tatsächlich
geschlagen
. Ich konnte es nicht fassen. Noch
nie
hatte mich jemand geschlagen. Eine Woge eiskalten Hasses schoss mir durch die Adern und ohne nachzudenken stürzte ich auf ihn los. Er rührte sich nicht, sondern starrte mich einfach bloß an. Ich sollte es nur wagen. Sein Blick zog mir sämtlichen Mut aus den Knochen. Als ich mich wegduckte, hörte ich Dom schwach hinter der Hecke rufen:
    »Cait . . . Cait?«
    Jamie drehte sich um und rief Lee zu: »Mach ihn
alle
, verflucht.«
    Brendell verschwand aus dem Blickfeld. Ich hörte ein Raufen, danach einen dumpfen Schlag, gefolgt von einem Stöhnen . . . und noch einen dumpfen Schlag . . . dann war es still. Brendell kam zur Lücke in der Hecke zurück und nickte Jamie zu. Jamie wandte sich wieder mir zu. Sein Grinsen war verschwunden, sein Blick kalt und stumpf.
    »Komm her«, sagte er.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Wortlos streckte er die Hand aus, packte mich am Arm und zog mich hinüber zur Hecke. Ich wehrte mich zuerst, aber je mehr ich zog, desto fester griff er zu und grub seine Fingernägel in meine Haut. Da hörte ich auf mich zu wehren und stolperte neben ihm her. Er redete nicht mehr. Er starrte vor sich hin wie in Trance, dabei leckte er ständig die Lippen und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Von nahem roch er Ekel erregend – nach einer fauligen Mischung aus Whiskey, Zigarettenrauch und verschwitztem Aftershave. Als wir die Hecke erreichten, zündete sich Brendell eine Zigarette an und blies den Rauch in die Luft. Einen Augenblick gaffte er mich an, dann redete er mit Jamie.
    »Dafür ist jetzt keine Zeit«, erklärte er.
    »Halt die Klappe. Wo ist McCann?«
    Brendell zuckte die Schultern.

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