Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luciano

Luciano

Titel: Luciano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
Vom Netzwerk:
Maria
reichte ihm ein großes Skalpell, und er öffnete den
Körper mit einem gekonnten Schnitt von der Kehle bis zum Bauch.
Bei einem lebenden Pa tienten war alles ganz anders, aber eine Prozedur
wie diese hatte Maria immer schwer erträglich gefunden. Sie
mußte schlucken, als Tankerley begann, mit einer großen
Zange die Rippen aufzubrechen.
      »Rohes Fleisch,
Schwester.« Er konnte es sich nie verknei fen, sie
herauszufordern. »Alles, was von einem Menschen am Ende
übrigbleibt. Wo ist jetzt Ihr Gott?«
      Sie reichte ihm ein kleines Skalpell.
»Eine erstklassig kon struierte Maschine. Funktioniert tadellos.
Anscheinend gibt es keine Aufgabe, die der Mensch nicht zu lösen
vermöchte, was meinen Sie?«

      »Außer der Frage, wie man
ewig lebt. Aber mich interessiert der Mensch in seiner
Einzigartigkeit«, sagte sie. »Ist das wirk lich alles, was
übrigbleibt, ein Leichnam auf einem Sektions tisch? Ich glaube
nicht. Christus, Professor, war einst nur ein Mann, der am Kreuz starb.
Zweitausend Jahre danach ist er für Millionen Menschen sichtbar
gegenwärtig.«
      Er blickte auf und lächelte ein
wenig in widerwilliger Be wunderung. »Oh, Sie sind nicht auf den
Mund gefallen, das muß ich Ihnen lassen.«
      Und dann fiel die erste Ladung
Fliegerbomben auf die Docks, und ganz in der Nähe gab es eine
gewaltige Explosion. Die Mauern des Krankenhauses schwankten, man
hörte das Klirren zersplitternden Glases. Einen Augenblick lang
drohte die Beleuchtung zu erlöschen, und irgendwo schrie eine Frau
in panischer Angst.
      »Genau der passende
Moment«, sagte Tankerley. »Ab mit Ihnen, Schwester, in der
Ambulanz wird man Sie dringend be nötigen. Ich mache das hier
allein fertig.«
      Maria hatte die Tür erreicht,
als ein weiterer Bombenhagel auf die Docks niederging. Wieder erbebte
das Haus, daß die stählernen Instrumente auf dem Tablett
klapperten. Tankerley griff nach dem Skalpell und fuhr in seiner Arbeit
fort, während Schwester Maria die Tür aufriß und
hinauseilte.

      Im Ambulatorium herrschte ein
Riesengetümmel, Leute lie fen im Korridor hin und her, und
Brandgeruch hing in der Luft. Das Bombardement war vorüber, und
Maria konnte in der Fer ne die Feuerwehr hören.
      Das Krankenhaus arbeitete auf
Hochtouren, und sie war ganz allein. Geduldig setzte sie eine Naht von
fünfundzwanzig Sti chen am linken Bein eines jungen Matrosen, der
vor einer Stunde von den Docks herübergebracht worden war.

      Er beobachtete sie aufmerksam, aus
seinem Mundwinkel hing eine nicht angezündete Zigarette.
»Prima, wie Sie das ma chen, Schwester. Kriege ich kein
Küßchen, weil ich so tapfer stillhalte?«
      »Gehört leider nicht zu meinen Pflichten.«
      »Was für eine
Verschwendung«, sagte er. »Ich meine, eine hübsche
junge Frau wie Sie. Es muß die Hölle sein.«
      Hinter ihr hatte Tankerley den Raum
betreten. Er zog ein Feuerzeug aus der Tasche und ließ es
aufschnappen. »Da, zün den Sie Ihre Zigarette an und halten
Sie die Klappe.« Er beugte sich prüfend über das Bein.
»Sehr ordentlich, Schwester. Jetzt können Sie gehen, ich
mache das fertig.«
      Sie verschwand hinter dem Vorhang und
begann, unbeholfen die Rückenbänder ihres Kittels zu
lösen. Tankerley erschien hinter ihr. »Kann ich
besser«, sagte er. Er zog eine Schleife nach der anderen auf, und
Maria fühlte, daß er zornig war. »Junger
Flegel«, knurrte er.
      Sie drehte sich um und
schüttelte den Kopf. »Er versteht es nur nicht, Professor.
Die meisten Menschen möchten, daß alle anderen so sind wie
sie. Und im übrigen hat er recht. Es kann die Hölle sein. Der
heilige Chrysostomus nannte das Zölibat die kleine
Kreuzigung.«
      »Stimmt das?« fragte Tankerley.
      »Eigentlich nicht, Professor. Es ist nur ein fairer Preis für das, was man erwirbt.«
      Er schnitt eine Grimasse und
versetzte ihr einen kleinen Schubs. »Los, raus hier, ehe Sie mich
vollends herumkriegen. Gehen Sie heim.«
      Ausnahmsweise gehorchte sie wortlos, sie war zu müde, zu
    ausgelaugt für weitere Streitgespräche.
    Das Kloster der Barmherzigen Schwestern an der
Huby Road war ein weitläufiger Ziegelbau hinter hohen Mauern, eine
frühere Lehrerbildungsanstalt. Die Lehrer waren längst ausge
zogen, und die Barmherzigen Schwestern hatten mit beträchtli chem
Gottvertrauen und einer nicht weniger beträchtlichen Hypothek das
Anwesen übernommen. Seit nunmehr zwanzig Jahren war es die
Ausgangsbasis ihres Wirkens in der Stadt. Die

Weitere Kostenlose Bücher