Lucifer - Traeger des Lichts
gebrannt.
15
Schwachstellen
Am Tag zuvor war in einer großen Polizeiwache nahe der Victoria Station der Dienst habende Beamte gebeten worden, in einen Raum zu kommen, wo der Inhalt einer Reisetasche zur Begutachtung ausgebreitet worden war.
Ein silbernes Schwert, äußerst scharf. Ein silberner Reif, der unter anderen Umständen als Krone hätte bezeichnet werden können. Ein paar Kleidungsstücke in Schwarz. Und fünf Pässe, zwei auf den Namen Sam Linnfer, zwei auf den Namen Luc Satise und einer auf den Namen Sebastian Teufel.
Ein Geschenk an die Gesetzeshüter von einem ungenannten Freund.
Ein paar Stunden später war ein Haftbefehl gegen Sam Linnfer ausgestellt worden. Erst am folgenden Tag würde Sam selbst ungerührt in die Polizeiwache hineinspaziert kommen und mit all seinen Besitztümern wieder hinausgehen.
Er hatte keine Kämpfe mehr auszutragen, die nicht seine eigenen waren. Darin fand Sam einen gewissen Trost. In der Vergangenheit hatte er Gesellschaft und Freundschaft gesucht, und damit war die Verantwortung gekommen, anderen zu helfen und sich um sie zu sorgen. Er hatte es sogar genossen, die Kämpfe anderer Leute auszutragen, von dem Vertrauen seiner Freunde getragen zu werden. Vertrauen war ein Luxus, der ihm oft verwehrt geblieben war, und in der Kameradschaft hatte er zumindest etwas davon gefunden.
Aber das war nun vorbei. Das Mondgespinst-Netzwerk war so gut wie aufgeflogen, Peter und Wisperwind Geiseln für sein Wohlverhalten. Freya war tot. Seth, Sohn der Nacht, bahnte sich, womöglich mit schrecklicher Absicht, seinen Weg in das Vakuum, das Sam selbst allzu lange schon in der Hölle hinterlassen hatte.
Seth, Odin und Jehova sind alle drei hinter diesen Schlüsseln her. Einer von ihnen hat Freya ermordet. Oh, Licht! Alle drei von ihnen spielen mit dem Feuer!
Doch in diesem Moment der Aussichtslosigkeit, in dem er alles verloren zu haben schien, was er besaß, selbst seine irdischen Identitäten, hinter denen er sich hätte verstecken können, hatte er einen Grund, sich sicher zu fühlen. Nicht glücklich oder gut, aber sicher. Jetzt war alles, was seine Feinde tun konnten, ihn zu treffen - er hatte keine Schwachstellen mehr, die nicht seine eigenen waren.
Keine außer einer, flüsterte eine kleine Stimme in seinen Gedanken.
Ein wildes Hämmern ließ die Tür erdröhnen, verbunden mit dem Summen einer Klingel. Solche Szenen waren nicht üblich in den ruhigen Hinterstraßen von London, WC 2. Als selbst jetzt auf sein Klopfen keine Antwort kam, trat Sam zurück in die Mitte der Straße und legte den Kopf in den Nacken, um zum Fenster hinaufzurufen: »Annette! Annette, bitte mach auf!«
Keine Antwort. Er lief zurück zur Tür und rammte die flache Hand mit einer Kraft gegen das Schloss, dass der Rückstoß einen Schauder bis in sein Schultergelenk jagte. Das Schloss klickte, der Riegel schob sich wie aus eigenem Willen zurück, und die Tür schwang auf. Sam stürmte die Treppe hinauf, drei Stufen auf einmal.
Die Tür zu Annettes Apartment stand bereits offen. Ihre Dienerin starrte anklagend auf ihn herab.
»Wie sind Sie hereingekommen?«, fragte sie in ihrem stark akzentuierten Englisch. »Madame wünscht keine Besucher.«
»Weg da!«, schnappte Sam, schob sie zur Seite und betrat die Wohnung.
»He!«, rief sie aus und versuchte, ihn aufzuhalten, indem sie ihm weitere Türen versperrte. Da er mit der Kraft eines Irren nach Annette suchte, drängte Sam sich leicht vorbei.
»>He< war nie ein Wort der Macht, und wenn es eins wäre, so beherrschst du es nicht.«
Er stürmte durch eine Tür, die sie verraten hatte, indem sie sie zu deutlich bewachte, und hörte Annettes Stimme im gleichen Augenblick, als er ihrer selbst gewahr wurde. Annette saß aufrecht im Bett, von Kissen gestützt und mit hochgezogenen Decken. Ihr dünner gewordenes weißes Haar umfloss ihr Gesicht wie eine Fassung aus reinem Silber, deren einziger Zweck darin bestand, dem verzauberten Prinzen ihr juwelengleiches Antlitz darzubieten.
»Lass uns allein«, murmelte sie zu dem Mädchen, ohne die Augen von Sam zu wenden.
Als die Tür ins Schloss fiel, stürzte Sam an Annettes Seite, erforschte ihr Gesicht, ihren Geist, nahm ihre alten Hände in die seinen und lachte laut aus schierer Erleichterung. »Ich hatte Angst, sie könnten dir etwas antun«, sagte er. »Ich dachte, ich würde dich vielleicht nicht mehr wiedersehen.«
Ihr Gesicht wurde ernst. In einem mütterlichen Ton sagte sie: »Was hast du jetzt
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