Lucy - Der Schlüssel (Band 5) (German Edition)
Arm und ließ sich von ihr den Kopf kraulen.
»Doch das kommt schon vor«, sagte er. »Die Königin reguliert über die Intensität ihres Duftstoffes die Anzahl der Drohnen, die zur Begattung zur Verfügung stehen. Wenn sie keinen mehr aussendet, wissen die neutralen Mitglieder des Volkes, dass es an der Zeit ist, dass frisches Blut oder besser frische Gene dem eigenen Volk zug eführt werden müssen. Dann werden starke, gesunde Jugendliche in anderen Völkern gesucht.
Du kannst dir vorstellen, dass das in der Steinzeit und im fr ühen Metallzeitalter unweigerlich zu Kriegen geführt hat. Es wurde gekämpft, geplündert und möglichst viele Jugendliche geraubt, die man zur Königin gebracht hat. Die Stärksten von ihnen wurden zu den neuen Drohnen.
Im späteren Metallzeitalter hat man diesen Zustand eher diplom atisch genutzt. Es gab einen regen Austausch zwischen den Völkern, um den Genpool aufzubessern. Dadurch waren später fast alle Völker miteinander verwandt und verbunden.«
»Da hat man dann einfach Jugendliche ausgetauscht? Und was haben die dazu gesagt? Es hört sich ja wirklich nicht besonders erstrebenswert an, eine Drohne zu werden«, fragte Lucy unglä ubig.
»Ähm, ich dachte, das könntest du viel besser nachvollziehen als ich«, stammelte Libaruh schüchtern und sah Lucy mit seinen gr oßen, kindlichen Augen an. »Ich habe so etwas noch nie erlebt. Ich bin doch ein ganz durchschnittlicher Neutraler. Aber Christoph hat mir erzählt, dass es bei euch auch Situationen gibt, in denen euer Geschlechtstrieb euch zu Dingen verleitet, die ihr bei klarem Verstand nie machen würdet. So ähnlich ist das mit den Drohnen früher auch gewesen. Wenn sie den Duftstoff gerochen haben, dachten sie nur noch an eins und haben alles andere einschließlich sich selbst vollkommen aufgegeben.«
Libaruh schüttelte sich.
»Ein Glück, dass ich heute lebe. So brauche ich mir über diese Dinge keine Gedanken machen. Ich darf meinen Verstand behalten, darf forschen und alt werden«, sagte er.
»Na ja, dafür hast du aber auch keine Liebe zu einem Partner oder einer Partnerin«, erwiderte Lucy traurig und streichelte ihm über den Kopf.
»Aber das stimmt doch nicht«, widersprach Libaruh und blickte Lucy mit seinen großen Augen so trotzig an, dass er sie noch stärker an Nuri erinnerte. »Wir haben ganz viel Wärme, Nähe, Freundschaft und Liebe untereinander. Was gibt es Schöneres als so nah und warm bei jemandem zu sitzen wie jetzt bei dir.
Wir machen das ständig untereinander. Wir kuscheln sehr gerne. Das machen wir viel häufiger als ihr Imperianer. Auf dem Schiff halten wir uns nur zurück, weil es bei euch unanständig ist. Nachts li egen alle, die sich lieb haben zusammen in einem großen Bett und kuscheln. Ich weiß gar nicht, wofür ihr noch etwas anderes braucht. Kinder kriegt doch auch ihr nicht mehr.«
Wie sollte Lucy ihm das erklären. Sie wusste es doch auch nicht. Sie wusste nicht, warum sie nach einem Jungen suchte und warum das Geschlecht für sie so einen großen Unterschied machte. Gena uso wenig wusste sie, warum es etwas anderes war, ein Kind wie Nuri im Arm zu halten oder einen Geliebten.
Die Loratener waren das genaue Gegenteil von den Aranaern. Sie besaßen weit mehr und viel unschuldigere Gefühle als Lucy und ihre imperianischen Freude. Sie schienen eher wie Kinder zu empfinden. Lucy musste zugeben, dass die loratenische G efühlswelt ihr dennoch genauso fremd war wie die kalte Logik der Aranaer.
»Bist du mir jetzt böse? Oder findest du uns jetzt so abst oßend, dass du nichts mehr mit uns zu tun haben möchtest?«, fragte Libaruh.
Völlig in Gedanken versunken hatte Lucy aufgehört, ihm durch die Haare zu streicheln. Seine großen Kinderaugen sahen sie besorgt an. Lucy lächelte und schüttelte den Kopf. Sie drüc kte ihm einen Kuss auf die Wange und nahm ihr Streicheln wieder auf.
»Ganz im Gegenteil, gerade im Moment mag ich eure Art beso nders gern. Von unserem imperianischen und terranischen Beziehungswirrwarr habe ich fürs Erste die Nase voll«, erklärte sie lächelnd.
»Ich muss dir etwas gestehen«, sagte Libaruh schüchtern. »Ich bin extra hierher gekommen, weil ich einmal ganz nah bei dir sitzen wollte. Christoph hat erzählt, dass du gerne hierher gehst. Deshalb bin ich schon ein paar Mal hier gewesen und habe g eschaut, ob du nicht da bist. Heute hat es endlich geklappt.«
»Und was wolltest du von mir?«, schmunzelte Lucy.
»Das habe ich doch gerade gesagt.«
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