Lucy in the Sky
als ich fertig bin. »Dein Herz ist ja auch woanders.«
»Aber stimmt das denn? Ist es wirklich woanders? Immerhin ist Nathan auf der anderen Seite der Welt. Vielleicht habe ich diese Gefühle ja nur, weil es ungefährlich ist. Er ist wie ein Phantasiefreund, er hat so gut wie keinen Fehler. Wenn ich an ihn denke, kann ich vor der Realität fliehen.«
»Das klingt einleuchtend«, stimmt sie nachdenklich zu.
»Aber warum kannst du mit James nicht darüber reden?«
»Über Nathan?«
»Nein, darüber, was du ihm gegenüber empfindest. Wegen dieser SMS . Darüber, dass du dir deswegen immer noch Sorgen machst.«
»Vielleicht.«
»Warum bist du so zögerlich?«
Weil ich nicht glaube, dass er ehrlich mit mir wäre. Aber das sage ich Chloe lieber nicht. Man gibt nicht gern zu, dass man seinem Freund nicht vertraut. Stattdessen antworte ich: »Ich bin nicht zögerlich, ich muss nur über so vieles nachdenken, weißt du.«
Sicher, Chloe und ich sind Freundinnen, aber wir sind uns noch nicht nahe genug, dass ich das Gefühl habe, wir könnten uns alles sagen. So nahe fühle ich mich eigentlich niemandem. Nicht mal Molly. Auf einmal bin ich schrecklich einsam.
Am nächsten Morgen rufe ich Nathan an, und er hebt fast sofort ab.
»Hallo du, ich bin gerade eben mit der Arbeit am Haus fertig. Für heute.« Beim Klang seiner Stimme wird mir ganz warm ums Herz. »Dann erzähl doch mal von Spanien. Ich brenne schon darauf, die ganzen grusligen Einzelheiten zu hören.«
»Es war ein Desaster.« Er hört aufmerksam zu, während ich ihm von der Reise berichte.
»Und wann kommt James zurück?«
»Morgen«, antworte ich. »Aber die Eröffnungsparty ist toll gelaufen, und meine Chefin hat mir einen hübschen Bonus dafür gegeben. Also ist nicht alles schlimm. Wie geht’s dir? Was hast du die letzte Woche gemacht?«
»Na ja, am Donnerstag hatte ich Geburtstag … «
»Echt? Oh, herzlichen Glückwunsch! Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich dir eine Karte geschickt!«
»Schon gut.« Er lacht. »Du hast ja nicht mal meine Adresse.«
Also ist er Zwilling, denke ich. Passt sehr gut zu einer Waage. Bin ich nämlich.
»Hast du gefeiert?«
»Die Typen von der Arbeit haben mir ein paar Drinks ausgegeben, und danach war ich noch bei Sam und Molly.«
»Wie geht es ihnen denn?«, frage ich.
»Sehr gut. Aber sie haben ganz schön viel zu tun mit dem Bed und Breakfast. Molly musste ihre Stunden im Laden reduzieren. Aber was ist mit dir? Was machst du heute?«
»Vielleicht gehe ich nachher ein bisschen im Regent’s Park spazieren. Oder ich schau mir die Schaufenster auf der Marylebone High Street an.«
»Klingt nett.«
»Ist es auch.« Ich lächle. »Wann kommst du nach England? Dann kannst du es dir selbst anschauen.«
Er lacht leise, und auf einmal merke ich, dass ich die Luft anhalte, während ich auf seine Antwort warte. »Leider wird das wohl nicht so bald klappen. Ich muss das Haus fertig machen, und dieses hier ist komplizierter als das letzte. Außerdem ist bei der Arbeit richtig viel los.«
»Kann man nichts machen«, antworte ich traurig. »Hast du einen Witz für mich auf Lager?«
»Komisch, dass du das erwähnst … «
»Na los«, drängle ich.
»Okay. Ein Engländer geht zum Arzt und sagt: ›Doktor, ich möchte unbedingt Ire werden!‹ Der Arzt antwortet: ›Okay, das ist ganz einfach, wir müssen nur ein Viertel Ihres Gehirns entfernen.‹«
»Iieh«, unterbreche ich ihn. »Mein Vater ist Ire.«
»Warte«, sagt er. »Der Mann lässt sich also operieren, aber danach kommt der Arzt zu ihm rein und sagt: ›O nein! Wir haben einen schrecklichen Fehler gemacht! Statt fünfundzwanzig haben wir fünfundsiebzig Prozent Ihres Gehirns entfernt!‹ Der Mann sieht ihn an und meint mit einem heftigen australischen Akzent: ›Keine Sorge, das wird schon wieder.‹«
Ich schütte mich aus vor Lachen.
»Was ist das eigentlich für eine Geschichte mit deinem Vater?«, sagt er dann auf einmal. »Molly sagt, du redest nie über ihn.«
»Wann hast du dich denn mit Molly über meinen Vater unterhalten?«, frage ich verdutzt.
»Entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein. Na ja, doch, genau genommen schon.«
»Was möchtest du denn wissen?«
»Wo ist er jetzt?«, fragt er, und ich merke, dass mir sein Interesse gefällt. Molly hat recht. Ich rede nie über meinen Vater. Nicht mit ihr, nicht mit James und auch mit sonst niemandem.
»Als ich das letzte Mal was von ihm gehört habe, war er in Manchester. Meine
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