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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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verstand nicht, warum Amanda auf einmal schrie. »Ich glaube, ich setz mich hier hin und ruh mich erst mal einen Moment aus.«
    Amanda begann noch lauter zu schreien und zerrte sie am Arm. »Nein! Nein!«, rief sie. »Lucy, geh weiter!«
    |155| »Warum?« Lucy war warm, und sie wusste genau, wie gut es ihr tun würde, ein kurzes Nickerchen zu machen.
    »Weil du sonst nie wieder aufstehst. Komm schon. Es sind nur noch ein paar Blocks.«
    »Aber ich fühle mich gut. Mir ist ganz warm. Ich ziehe mal meinen Mantel aus.«
    Jetzt packte Amanda sie am Mantelkragen und schüttelte sie heftig. »Nein! Nein, das wirst du nicht tun, Lucy. Geh gefälligst weiter.«
    Als die Mädchen schließlich das Haus erreichten, konnte Lucy kein einziges Wort mehr herausbringen. Jenny trat aus dem Wohnzimmer in die Diele, um die beiden zu begrüßen, als sie sie kommen hörte. »Haben Sie einen Schlafsack, Jenny?«, fragte Amanda, kaum dass sie die Haustür geöffnet hatte. »Lucy ist total unterkühlt.«
    »Oh, mein Gott!«, rief Jenny. »Wusste ich es doch. Ich hätte euch bei diesem Wetter lieber mit dem Auto in die Stadt fahren sollen.«
    Lucy starrte sie beide nur mit ausdrucksloser Miene an. Dann gaben ihre Knie nach. Schwer sank sie zu Boden, ohne auch nur den Mantel ausziehen zu können. Jenny verschwand und kam einen Augenblick später mit einem Schlafsack zurück. Amanda hatte ihre dicke Jacke schon ausgezogen und sagte zu Jenny: »Ziehen Sie sie aus. Wir müssen sie aufwärmen.«
    Lucy fühlte sich schlaff wie eine Stoffpuppe, als Jenny sie aus dem Mantel schälte und bis auf die Unterwäsche auszog. Amanda zog währenddessen den langen Reißverschluss des Schlafsacks auf und bugsierte Lucy mit Jennys Hilfe hinein. Sie zwängte sich mit hinein und sagte: »Machen Sie ihn zu. Das wird sie schnell aufwärmen. Außerdem braucht sie etwas Heißes zu trinken.«
    |156| Lucy lachte.
    »Was ist denn jetzt so lustig?«, fragte Amanda.
    »Mom, ich wollte dir einen Ehering kaufen.«
    Amanda drückte Lucy an sich. »Das wollte sie wirklich«, erklärte sie. »Und auch noch eine Uhr und einen Teppich. Das hat sie alles im Kaufhaus gesehen.«
    »Du lieber Himmel«, sagte Jenny.
    »Mom, ich glaube, ich mag Blizzards.«
    »Ich bin so bescheuert«, sagte Amanda. »Ich hätte nie so lange mit ihr da draußen rumlaufen dürfen. Sie ist schließlich in Afrika aufgewachsen, verdammt noch mal.«
    »Mach dir keine Vorwürfe, ich werde schon die Oberhand behalten«, beruhigte Lucy sie.
    Da lachte Amanda. »Okay, du tapfere Ringerin. Dann wollen wir mal sehen, dass du dich aus dieser Umklammerung wieder befreist. Warm verstaut bist du ja erst mal.«
    Eine Stunde später saßen sie alle gemeinsam vor dem Kamin und tranken heiße Schokolade. Lucy war in eine dicke Wolldecke gewickelt.
    »Amanda, wir müssen uns bei dir bedanken«, sagte Jenny. »Du wusstest zum Glück gleich, was zu tun ist.«
    »Oh, bei diesen Erste-Hilfe-Sachen war ich schon immer gut«, erwiderte Amanda. »Darin hab ich jede Menge Übung, wegen meiner Mutter.«
    Jenny sah sie verwirrt an. Doch Lucy wusste, wovon Amanda sprach.

|157| 16
    Lucy traf sich jeden Nachmittag mit Weston Temple zum Training. Sie mochte den Jungen. Die Botschaften, die sie im Großen Strom von ihm empfing, waren freundlich. Er merkte nicht einmal, dass er sie aussandte, und sie wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen, indem sie davon sprach. Sie wusste, wie schüchtern er war. Lucy hatte den Eindruck, dass sein Vater ihn zum Ringen geschickt hatte, damit ein echter Mann aus ihm wurde. Wie albern. Er war doch Manns genug.
    Ringen als Freizeitbeschäftigung war schon seltsam, dachte Lucy, denn man musste dabei doch einen Gegner niederkämpfen. Im Grunde genommen ging es darum, an Status zu gewinnen. Seit Millionen von Jahren gingen die Menschen nun aufrecht, das war eine ihrer besonderen Fähigkeiten. Und stets war es darum gegangen, den Gegner zu Boden zu ringen. Das war eine elementare Handlung. Lucy verstand, warum die Zuschauer so heftig reagierten. Bei den Ringerwettkämpfen tauchte jeder ein in den Großen Strom und empfing die machtvollen Botschaften, die die Kämpfenden mit ihren Taten auf der Matte aussandten. Der Sieg eines Menschen über einen anderen. In diesen Momenten kam das animalische Erbe des Menschen wieder zum Vorschein. Lucy erkannte ziemlich bald, dass der Sport für die einsamen Menschen ein Mittel war, um auf einer tieferen Ebene mit den anderen zu kommunizieren.
    Wes brachte ihr bei, wie

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