Lucy
Zander fingen, hielt Lucy das Netz in die Höhe, in dem er zappelte, und musterte ihn. »Tut mir leid, Zandy. Tut mir wirklich leid, dass ich dich essen muss.«
»Du sprichst mit Tieren?«, fragte Amanda erstaunt.
»Ja. Und sie sprechen mit mir.«
»Was hat er denn gesagt?«
»Dass er mich gefressen hätte, wenn er groß genug wäre«, erwiderte Lucy. »Fische fressen alles.«
Mithilfe des flackernden Lichts des Lagerfeuers fanden die Mädchen den Weg zurück zur Hütte. Sie zogen das Kanu ans Ufer und grillten den Fisch, den sie mit gedämpftem Reis und dem Gemüse aßen, das Jenny gegrillt hatte, während sie weg waren.
Ein paar Tage später setzten sich Lucy und Amanda früh morgens ihre Rucksäcke auf, verabschiedeten sich von Jenny und machten sich auf eine Wanderung zu den Felsen des Saganaga Lake fünf Meilen weiter nördlich. Ihr Weg führte sie am Ufer des Flour Lake entlang und dann weiter hinauf nach Norden auf einem Trampelpfad durch den Wald, der am Hungry |167| Jack vorbeiführte. Als sie sich Richtung Osten wandten, schien ihnen durch das dichte Laubwerk die Sonne ins Gesicht. Der Geruch von Kiefern lag in der Luft. Lucy atmete tief ein und fühlte sich eins mit dem Wald. Sie hörte Raben rufen, und einmal sahen Amanda und sie auf einer Lichtung einen Adler hoch über ihnen in den Lüften kreisen.
Sie erreichten den Bearskin Lake und wanderten weiter, bis sie schließlich an das nordöstliche Ufer des Lake Daniels kamen. Jetzt waren sie in der richtigen Wildnis, mitten in den dichtbewaldeten Hügeln von Boundary Waters. Plötzlich blieb Lucy stehen und gab Amanda ein Zeichen. Sie verharrten beide ganz still, während Lucy die Nase hob und schnupperte.
»Willst du einen Elch sehen?«, flüsterte Lucy.
»Klar.«
Leise schlichen sie durch den Wald, bis sie eine Anhöhe über einem sumpfigen Gebiet erreicht hatten. Die Elchkuh war von gewaltiger Statur und dunkler Fellfarbe, das Geweih voller Halme. Sie hatte ein Kälbchen dabei, das tollpatschig umhersprang, während sie den Kopf zur Wasserfläche neigte. Amanda holte ihre Kamera aus dem Rucksack und machte ein Foto. Dann schlichen sich die Mädchen unbemerkt wieder davon und folgten weiter ihrem Pfad.
Um die Mittagszeit stiegen sie die niedrigen Hügel hinter dem Lake Rose hinauf. Lucy konnte Amandas süßen Sommerschweiß riechen. Sie fanden einen abgeflachten Felsen, von dem aus sie bis nach Kanada blicken konnten, und dort machten sie Rast und aßen. Unvermittelt hielt Lucy einen Finger in die Luft und flüsterte: »Hör mal.« Irgendwo in der Ferne bellte leise ein Frühlingswurf Wolfswelpen.
Den Nachmittag verbrachten sie damit, den Waldboden zu erkunden. Lucy zeigte Amanda die Fährten von Rotwild, den Bau, den eine Wühlmaus in die Erde gegraben hatte, und |168| förderte den Schädel eines Rotfuchses zutage. Dann hörte Lucy wieder etwas. »Beweg dich nicht«, sagte sie zu Amanda, streckte eine Hand aus und legte sie mit der Handfläche nach oben auf den Waldboden. Lange, so schien es Amanda jedenfalls, geschah gar nichts. Sie hockten beide nur da und warteten. Doch plötzlich hoppelte ein Kaninchen aus dem Unterholz hervor und bewegte sich vorsichtig auf sie zu. Es näherte sich Lucys ausgestreckter Hand, schnupperte daran und krabbelte schließlich auf ihre Handfläche. Lucy hob das kleine Tier an ihr Gesicht und begann, sein Fell zu streicheln.
»Wie zum Teufel hast du das gemacht?«, fragte Amanda.
»Ich habe gelernt, mit den Tieren zu kommunizieren. Im Dschungel, weißt du.«
»Kann ich ihn auch anfassen?«
»Ich weiß nicht. Du kannst es versuchen. Es ist eine sie.«
Amanda streckte eine Hand aus, um das Kaninchen zu streicheln, doch da sprang es in hohem Bogen auf den Boden und verschwand wieder im Gebüsch. Lucy hatte von den Krallen einen Kratzer am Handgelenk davongetragen.
»Oh, du blutest. Tut mir leid.«
»Ist nicht schlimm. Das heilt bei mir schnell wieder.«
Als die Fische in der Dämmerung aktiv wurden, fing Lucy einen Zander. Auf einem hohen Felsen machten sie ein Lagerfeuer und warfen ein paar Kartoffeln hinein, die sie von der Hütte mitgenommen hatten. Den Fisch brieten sie auf einem heißen Stein. Hier draußen unter dem Sternenhimmel schmeckte er ihnen gleich noch einmal so gut. Und als sie fertig waren, öffnete Amanda ihren Rucksack, denn jetzt hatte auch sie einmal eine Überraschung zu bieten. Sie holte einen Plastikbeutel heraus und reichte ihn Lucy mit einem verschmitzten Lächeln.
»Oh, super.«
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