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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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weniger. Er war dran gewöhnt. Meine Mutter war ein Menschenaffe, weißt du.«
    »Haha. Sehr lustig.«
    Die Wahrheit hing zwischen ihnen, doch sie war unsichtbar für Amanda. Lucy erkannte, dass es nichts, aber auch gar nichts gab, das sie ihren Worten hätte hinzufügen können, um Amanda in diesem Augenblick zu überzeugen.
    »Okay, kletter rein.« Lucy fühlte sich leer und allein. Amanda konnte die Möglichkeit nicht einmal zulassen, dass die Worte, die sie da gerade gehört hatte, der Wahrheit entsprachen. Für Amanda waren sie nichts weiter als ein dahingesagter |172| Witz gewesen. Doch für Lucy knüpfte sich daran die Frage: Wenn sie schon keinen Platz in Amandas Gedanken finden konnte, wie sollte sie dann einen in ihrem Herzen finden? Sie legte sich hin und schloss die Augen.
    »Hey, alles okay?«, fragte Amanda.
    »Ja, ich bin nur müde.«
    »Hm. Insgesamt wär mir ja ein schickes Hotel mit Kabelfernsehen und Dusche lieber, aber na gut.«
     
    Am nächsten Morgen kletterten sie wieder von ihrem Baum herunter und wanderten weiter durch eine Moränenlandschaft aus Granit und eiszeitlichem Gesteinsgeröll. Sie stiegen einen der wallartigen Höhenrücken hinauf, die sich hier in der Eiszeit gebildet hatten, und folgten eine Zeit lang seinem Kamm, mit Blick auf Balsaminengewächse und Rottannen überall. Sie kamen durch einen Wald dünner Espen, in dessen Unterholz sie roten und weißen Frauenschuh wachsen sahen. Als sie schließlich das Ufer des Lake Daniels wieder erreichten, hörten sie von weit her das melodische Rufen eines Seetauchers. Es war ein warmer Tag, ihre T-Shirts waren durchgeschwitzt, und so stellten sie ihre Rucksäcke ab, zogen sich aus und sprangen hinein ins Wasser, kreischend, weil es so kalt war. Nachdem sie Schweiß und Schmutz ihrer Wanderung abgewaschen hatten, setzten sie sich nackt auf einen Felsen und ließen sich von der Sonne trocknen. Sie knabberten getrocknete Früchte und Nüsse und verscheuchten einen neugierigen Meisenhäher, der betteln kam.
    Eine Zeit lang saßen sie schweigend da, sogen die Waldluft ein und sahen zu, wie eine leichte Brise das Seewasser kräuselte. Nach einer Weile richtete Lucy sich plötzlich auf und sagte: »Sieh mal.« Sie zeigte in den Himmel.
    »Was denn?«
    |173| »Sieh einfach hin.«
    Ein Fischadler stieß aus dem Himmel herab und zerschlug die Wasseroberfläche wie ein Stein einen Teller. Einen Augenblick später war der Vogel bereits wieder in der Luft, mit einem großen Fisch in den Krallen.
    »Wow«, rief Amanda, »das war ja unglaublich cool. Woher wusstest du, dass er das tun wird?«
    »Keine Ahnung.«
    Amanda reichte Lucy einen kleinen Plastikbeutel mit Nüssen. »Lucy, darf ich dich mal was fragen?«
    »Klar.«
    »Was ist das eigentlich für ein Gefühl, wenn du mit den Jungs ringst?«
    »Na ja, ich bin ziemlich aufgeregt, und das macht mich schneller und stärker.«
    »Weißt du, ich denke irgendwie immer, das müsste dich so erregen, dass du dich gar nicht mehr konzentrieren kannst.«
    »Ich glaube, als ich das erste Mal mit Wes gerungen habe, war’s auch so. Ich weiß nicht genau. Aber die Aufregung, die ich spüre, hilft mir, mich zu konzentrieren. Wenn ich in einem Kampf bin, habe ich immer das Gefühl, als würde mein Gegner sich in Zeitlupe bewegen. Ich kann sehen, was er als Nächstes tun wird, und habe Zeit, mir meine nächste Bewegung zu überlegen. Und es wird ganz still, abgesehen von einigen Dingen, die ich sehr deutlich hören kann.«
    »Was für Dinge?«
    »Die Atmung des anderen zum Beispiel. Ich kann ihn riechen und weiß, wenn er Angst hat. Manchmal ist es auch so, als würde ich ihn durch einen Tunnel hindurch ansehen. Das ist richtig cool. Der Raum um mich herum verschwindet. Ich höre die Zuschauer nicht mehr. Es gibt auf der ganzen Welt nur noch diesen einen einsamen Typen, der sich da wie ein |174| König vor mir aufgebaut hat und den ich schachmatt setzen muss.«
    »Wahnsinn.«
    Sie schwiegen eine Weile und sahen aufs Wasser hinaus. Dann fragte Lucy: »Amanda, findest du eigentlich, dass ich hübsch aussehe?«
    »Machst du Witze? Alle finden dich wunderschön. Hast du noch nie gemerkt, dass die Jungs ohnmächtig umfallen, wenn du vorbeigehst?«
    »Ach, hör auf. Du machst dich über mich lustig.«
    »Ein bisschen. Aber du bist wirklich schön. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so aussieht wie du.«
    »Ich finde dich auch schön.«
    Amanda hob das Kinn. »Ohhh, na klar   …«
    »Nein, wirklich. Das meine ich

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