Lucy's Song
so viel vor dem Flug trinken, weil es oft schwierig war, im Flugzeug aufs Klo zu gehen. Ich beruhigte sie, das würde schon klappen. Dann guckte ich mir die Geschäfte an. In einem Laden für elektronische Geräte suchte ich nach einem Computerspiel, das ich mir wünschte, aber sie hatten nur die alten Versionen. Noch älter als die, die ich schon hatte.
Tante kaufte sich in einem zollfreien Laden Zigaretten. Mama und ich saßen uns am Tisch gegenüber. Lucys Rollstuhl hatten wir an den Tisch herangeschoben.
»Bist du gespannt?«, fragte Mama.
»Worauf?«
»Na, auf die Reise.«
»Ja, klar. Du nicht?«
Mama nickte.
»Doch, ich bin auch gespannt. Ich hoffe wirklich, dass alles klappt, schon deinetwegen. Schließlich hast du so viel dafür gearbeitet.«
»Aber das ist doch deinetwegen«, erwiderte ich. »Es ist deine Reise. Deshalb. Du hast davon geträumt, weißt du.«
Mama lächelte.
»Aber in erster Linie ist es dein Traum, oder? Das mit Paris?«
»Du wolltest doch immer dorthin und in einem Cabrio durch die Stadt fahren. Dein Traum.«
Mama lächelte noch breiter.
»Doch, das stimmt schon.«
»Erinnerst du dich, im Krankenhaus? Als sie das Lied gespielt haben? Das über Lucy? Du hast gesagt, dass du davon geträumt hast. Von Lucy Jordan.«
»Ja, das stimmt.«
»Dann ist es also dein Traum. So ist das mit Träumen.«
»Ja, natürlich. Träume, das ist etwas, das man träumt. Das ist klar.«
Die Tante kam zurück. Sie hatte auch ein paar Süßigkeiten gekauft. Mama versuchte Lucy etwas Schokolade zu geben, aber sie wollte nicht. Sie war immer noch unruhig.
»Das wird besser, wenn wir im Flugzeug sind«, sagte Mama. »Das ist fast wie Autofahren. Und das mag sie.«
Bevor wir an Bord des Flugzeugs gingen, wollte Mama noch einmal auf die Toilette. Sie stellte ihre Tasche auf den Tisch und bat mich, darauf aufzupassen. Die Tante wollte auch zur Toilette.
Die beiden blieben ziemlich lange fort. Schließlich nahm ich die Tasche und schob den Rollstuhl mit Lucy zu den Toiletten. Da sah ich Mama auf einer Bank sitzen, direkt vor dem Eingang zu den Toiletten. Sie saß ganz zusammengekrümmt da. Die Tante stand neben ihr.
»Kommt ihr nicht?«, fragte ich. »Unser Flug ist schon auf dem Bildschirm. Daneben steht ›go to gate‹. Wir müssen rechtzeitig da sein, wegen des Rollstuhls.«
»Deine Mutter fühlt sich im Augenblick nicht so gut«, erklärtedie Tante. »Wir müssen noch einen Moment warten. Kannst du nicht hingehen und Bescheid sagen? Dass wir gleich kommen?«
Ich ließ den Rollstuhl mit Lucy bei ihnen stehen und ging zu dem Gate, von dem wir fliegen sollten. Sie hatten noch nicht angefangen, die Leute durchzulassen. Ich versuchte, mit dem Mann hinter dem Tresen Kontakt zu bekommen, aber er schaute nicht auf.
»Entschuldigung«, sagte ich.
Er reagierte nicht.
»Entschuldigung«, versuchte ich es noch einmal.
Er tippte etwas in einen Computer ein. Ein Drucker direkt neben ihm ratterte.
»Hallo!«, sagte ich laut und klopfte auf den Tresen. Da schaute er auf.
»Wir kommen ein bisschen später«, sagte ich. »Meiner Mutter geht es nicht so gut.«
»Darauf kann das Flugzeug nicht warten. Sie muss kommen, wenn wir anfangen, die Leute reinzulassen.«
»Sie kommt ja gleich. Sie muss sich nur erst noch ein bisschen ausruhen. Dann kommt sie. Wir haben einen Rollstuhl dabei.«
Er schaute auf irgendwelche Papiere.
»Seid ihr das mit einem Passagier im Rollstuhl? Ist das deine Mutter?«
»Nein, das ist meine Schwester.«
»Ist sie krank?«
»Nein, sie ist gesund. Sie sitzt nur im Rollstuhl. Und kann nicht sprechen und so. Es ist meine Mutter, die ein bisschen krank ist.«
»Wenn sie krank ist, dann kann sie nicht mitfliegen«, erwiderte der Mann. »Wir können nicht das Risiko eingehen, dass das Flugzeug wegen eines kranken Passagiers notlanden muss.«
»So krank ist sie nicht.«
»Dann muss sie herkommen.«
Ich lief zurück zu Mama und der Tante.
»Sie sagen, dass wir jetzt kommen müssen. Sonst kommen wir nicht mit.«
Die Tante schaute Mama an.
»Das geht schon«, sagte Mama.
Die Tante stützte Mama. Ich schob den Rollstuhl mit Lucy. Am Tresen stand der Mann und betrachtete uns.
»Wer ist krank?«, fragte er.
»Niemand ist krank«, antwortete ich.
»Mir geht es nicht so gut«, sagte Mama.
»Wenn Sie krank sind, kann ich Sie nicht an Bord lassen.«
»Natürlich können Sie das«, widersprach ich. »Wir haben doch Tickets.«
»Wir können kein Sicherheitsrisiko eingehen«,
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