Ludlum Robert - Covert 02
nickte. »Na schön. Dann versuchen wir es einmal anders: Sie kennen Beria besser als sonst jemand. Hat er je mit einem Partner gearbeitet?«
»Nein. Beria war immer Einzelkämpfer. Das ist auch einer der Gründe, weshalb wir ihn nie erwischt haben: Es gibt keine Verbindungsleute. Ich glaube, dass er diesen Mann als Tarnung benutzt.«
Aber an dem Bild war etwas, das Smith einfach nicht losließ. Er beugte sich zu Kirovs Ohr und sagte leise: »General, ich habe vielleicht eine Möglichkeit, das Bild verbessern zu lassen.«
»In Ihrer Botschaft?«, fragte Kirov.
Smith zuckte die Schultern. »Also…?«
Kirov überlegte. »Na schön.«
»Teljegin - hatte sie einen Laptop oder ein Handy?« »Natürlich beides.«
»Die könnte ich auch überprüfen lassen.«
Kirov nickte. »Ich lasse Sie von einem Offizier des Sicherheitsdienstes in meine Wohnung bringen. Beide Geräte liegen bei mir in der Küche.«
»Und das bringt mich zu meiner letzten Frage«, sagte Smith. »Was ist, wenn Beria sich nicht mehr im Terminal befindet?«
Kirovs Augen weiteten sich, als ihm die Tragweite von Smith’ Frage bewusst wurde. »Ich brauche die Flugnummern und die Ziele der letzten drei Flüge, die vor der Schließung gestartet sind«, forderte er den Direktor auf.
Smith sah auf den Zeitstempel des Videobandes und dann auf den Bildschirm, wo der Sicherheitsdirektor inzwischen den Abflugplan aufgerufen hatte.
»Swissair 101, Air France 612, American Airlines 1710.
Beria könnte jeden dieser drei Flüge erreicht haben.« »Ich brauche die Bänder der Kameras für die Gates zu
diesen Flügen«, befahl Kirov. »Und die Passagierlisten.« Als der Direktor davoneilte, wandte Kirov sich Smith zu.
»Es ist möglich, dass Beria sich auf einem dieser Flüge
befindet, Jon, aber unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass er den Flughafen verlassen hat, sich aber
noch in der Stadt aufhält.«
Smith wusste, was Kirov damit andeuten wollte. Drei
Flugzeuge mit insgesamt über tausend Menschen, die nach
Westeuropa unterwegs waren. War Smith wirklich bereit,
eine Folge internationaler Probleme heraufzubeschwören, nur weil Beria sich möglicherweise an Bord eines dieser
drei Flugzeuge befand?
»Und wenn das Ziel nicht Zürich, Paris oder London
wäre, sondern Moskau?«, fragte Smith. »Würden Sie es
dann nicht wissen wollen? Oder würden Sie sich mit der
›Wahrscheinlichkeit‹ zufrieden geben?«
Kirov starrte ihn wortlos an und griff dann nach dem
Telefon.
Kirov war näher dran an der Wahrheit als ihm das bewusst war. Beria befand sich noch in Moskau und hatte den Flughafen auf demselben Wege verlassen, auf dem er dorthin gelangt war - per Bus. Nur dass dieser ihn unmittelbar in die zentrale Busstation von Moskau brachte.
In dem eiskalten, baufälligen Gebäude ging Beria sofort zu den Schaltern und kaufte sich eine Fahrkarte nach St. Petersburg. Bis zur Abfahrt waren noch zwanzig Minuten Zeit, und deshalb begab er sich in einen Waschraum, der nach Urin und Industriereiniger roch und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Als er wieder herauskam, erstand er bei einer Frau an einem Kiosk ein paar Stück fettiges Gebäck, die er mit einem Glas Tee hinunterwürgte. So gestärkt reihte er sich unter die am Bussteig wartenden Fahrgäste ein.
Beria musterte die Gesichter, die ihn umgaben. Es handelte sich hauptsächlich um ältere Leute, und einige von ihnen trugen vermutlich ihre ganze weltliche Habe in Pappkoffern oder in mit Isolierband verklebten Kartons bei sich. Ihr Anblick erinnerte ihn an eine andere Zeit und andere Orte, wo er als Kind in Flüchtlingskolonnen von einem brennenden Dorf zum nächsten gewandert war. Er hatte sich auf von Traktoren gezogenen Anhängern zwischen die Menschen gedrängt und war, wenn die Traktoren ihren Geist aufgegeben hatten, auf Pferdekarren weitergereist. Und wenn die Pferde dann geschlachtet wurden - entweder von den Flüchtenden, die sich Nahrung verschaffen wollten, oder vom Feind aus reiner Bosheit -, war er Tag für Tag Kilometer um Kilometer zu Fuß marschiert und hatte Schutz und Unterschlupf gesucht; ihn aber bis heute nicht gefunden.
Beria fühlte sich zwischen den Leuten, die vor ihm einstiegen, sicher. Es waren Geschlagene, Opfer ihrer Lebensumstände, unsichtbar für die neue wohlhabende Klasse, Menschen, die noch weniger als unwichtig waren. Kein Milizionär würde sich je die Mühe machen, ihre Papiere zu überprüfen, keine Kamera würde ihre Abreise registrieren. Und was das Beste war, jeder
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