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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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gesagt.
    »Herr Schmid hat mich angerufen, gerade vorhin. Es ist ihm peinlich, dass er Ihr Buch zurückstellen muss. Aber ich kann ihn schon verstehen. Obwohl ich an seiner Stelle nicht klein beigegeben hätte.«
    Stachelmann musste grinsen. »Natürlich«, hatte er erwidert.
    Er hatte Bohming nicht gesagt, dass er zur Uni fuhr, um gegen die Angst zu kämpfen. Stachelmann hatte in der Vergangenheit hin und wieder Angst gehabt, und er hatte sie bewältigt, indem er sich Situationen aussetzte, die ihm Angst machten. Er begegnete der Angst mit Sturheit. Diesmal fand er es schwerer als sonst. Aber wahrscheinlich bildete er es sich nur ein. Das Gegenwärtige beeindruckt einen immer stärker als die Vergangenheit. Die Angst ließ ihn schwitzen. Als er im Bahnhof eintraf, war er nass am Körper. Er wischte sich mit dem Taschentuch das Gesicht trocken, der Schweiß auf der Kopfhaut war kalt geworden, ihn fröstelte.
    Ein alter Mann im Doppelreiher schaute ihn neugierig an, als Stachelmann das Großraumabteil der ersten Klasse betrat. Stachelmann setzte sich wider seine Gewohnheit auf den Fensterplatz der langen Bank an der Abteilwand in Fahrtrichtung, dort konnte ihn kaum einer beobachten. Er betrachtete jeden Mann, der hereinkam. Keiner sah aus wie ein Mörder. Aber wie sieht ein Mörder aus? Er war erleichtert, als der Zug mit einem Ruck anfuhr. Niemand würde so verrückt sein, ihn unter all diesen Leuten ermorden zu wollen. Er lehnte sich zurück, atmete tief durch, und dann kamen die Schmerzen. Sie schnürten die Brust ein, krochen das Rückgrat hinunter in die Beine bis zu den Knöcheln. Er musste flacher atmen, sonst war der Schmerz zu stark. Er fand nach einigem Wühlen Diclofenac-Tabletten in seiner Aktentasche. Er schluckte zwei und spülte sie mit Speichel hinunter. Frühestens in einer halben Stunde würden die Tabletten anschlagen, wenn überhaupt. Fast war er froh, dass der Schmerz ihn ein wenig ablenkte von der Angst.
    Regen peitschte über die Schlüterstraße, die Menschen hasteten an ihm vorbei, einer mit einem vom Wind umgestülpten Regenschirm. Stachelmann zwang sich, langsam zu gehen, um nicht stark atmen zu müssen. Als er aber in die Nähe des Von-Melle-Parks kam, sah er das Polizeiauto, zwei Beamte saßen darin, der eine las Zeitung. Stachelmann fing an zu rennen, auch wenn die Beingelenke höllisch wehtaten. Er stöhnte eher, als dass er atmete, fast röchelnd erreichte er die Eingangstür, riss sie auf und ging zum Aufzug, der natürlich gerade auf einem anderen Stockwerk hielt. Hektisch drückte er den Knopf, horchte auf Geräusche, die der Aufzug erzeugte, wenn er sich bewegte. Zwischendurch schaute er sich um, aber er sah niemanden, der Philosophenturm war wie ausgestorben. Ob sein Seminar überhaupt stattfand? Ihm kam es unendlich lang vor, bis die Stahltüren sich aufschoben. Er betrat den Aufzug und fuhr allein nach oben. Auch in seinem Stockwerk sah und hörte er niemanden. Jetzt bereute er es, hergekommen zu sein. Allein in diesem Gespensterturm, schlimmer konnte es nicht kommen. Er schloss sein Büro auf und zog die Tür schnell zu, steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn zweimal nach rechts. Er zog die Vorhänge zu, sie waren unbestimmbar braun und staubig. Stachelmann hustete, als die Staubwolke ihn erfasste. Er schaltete das Neonlicht ein, setzte sich an den Schreibtisch, startete den PC und schaute, ob es neue Diskussionsbeiträge in dem Internetforum gab. Es gab zwei. Ein Peter Müller schrieb:

    Ich weiß ja nicht, was ihr da treibt, aber Mord, auch wenn es nicht geklappt hat, geht viel zu weit. Ihr müsst euch von diesem Amokschützen distanzieren.

    E.T. antwortete:

    Distanzieren muss man sich nur von Dingen, mit denen man was zu tun hat, meinetwegen um 5 Ecken. Also distanziere ich mich nicht. Davon abgesehen, es ist nicht schlecht, wenn dieser Superhistoriker mal richtig Angst kriegt.

    E.T. will nicht geschossen haben. Hat er recht? Ist es nur eine Lüge? War die Diskussion in dieser Gruppe nichts anderes als ein Manöver, dessen Grund und Ziel er nicht begriff? Er zwang sich, den Stapel mit Seminararbeiten heranzuziehen. Er nahm die erste Arbeit und begann zu lesen. Aber schon nach ein paar Sätzen verschwammen die Buchstaben, wanderten seine Gedanken wieder zu der Schießerei und ihren Folgen. Dieser Schmid war ein Feigling. Er tat verantwortungsbewusst, hatte aber einfach nur Schiss. Es war doch gar nicht klar, dass dem Verlag oder seinen Mitarbeitern etwas

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