Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
jedenfalls nickte er ihm zu, und Anne musste er auch schon gesehen haben. Immerhin hatte er behauptet, er studiere Geschichte. Georgie guckte sich unsicher um, dann fragte er: »Wer war es?«
Niemand antwortete.
»Morgen Abend treffen sich die Kumpels bei mir. Du musst auch kommen.«
Stachelmann nickte. Er hatte sowieso mit denen sprechen wollen. Irgendeiner von denen musste etwas wissen, das weiterhalf. Ein Verdacht, der Schein einer Spur, irgendetwas, dem man folgen konnte. Und wenn er es sich einbildete. Aber nur herumsitzen, nichts tun, das war nicht möglich.
Bohming erhob sich und trug den Stuhl wieder in die Ecke. Er hatte Georgie zwei-, dreimal gemustert, aber seinem Gesicht nicht anmerken lassen, was er von ihm hielt und davon, dass Stachelmann so jemanden kannte. Aber der konnte es sich leicht vorstellen, was Bohming dachte. Bohming war ein Spießer, auch wenn er alles tat, um diesen Eindruck zu vermeiden.
»Wenn du Hilfe brauchst, Anruf genügt«, sagte Bohming. Und er wiederholte: »Mit dem Schmid rede ich nochmal. So geht es nicht. Das nehme ich persönlich.« Er verabschiedete sich mit einem »Gute Besserung!« und verschwand.
Anne lachte trocken. »Ein typischer Bohming-Auftritt. Sagenhaft eben. Aber er betrachtet die Absage von dem Schmid als Affront gegen ihn. Damit steigen deine Chancen, dass der die Arbeit doch herausbringt.«
»Ich will das nicht. Lieber gar nicht veröffentlichen als bei diesem Schmid. Aber das interessiert mich jetzt nicht. Wer kommt in Frage als Mörder? Vielleicht war Brigitte diesem Kerl auf die Schliche gekommen, und deswegen hat er sie umgebracht. Oder der Typ hat nur geglaubt, sie sei ihm auf die Schliche gekommen.«
»Wenn ja, warum in deinem Zimmer?«, fragte Anne. »Damit hat er sein Risiko nur vergrößert.«
Er wusste es nicht. Darüber hatte er immer wieder in den letzten Stunden nachgedacht. Warum in seinem Zimmer? Was hatte der Mörder gegen ihn? Oder ging es um etwas ganz anderes? War es ein Ablenkungsmanöver? Er schloss die Augen, aber gleich war das schreckliche Bild wieder da. Wie sollte er schlafen, wenn ihm Brigittes Leiche zusetzte, sobald er die Augen schloss? Es half nichts, er würde in dieser Nacht im Krankenhaus bleiben, aber morgen musste er beginnen mit der Suche nach dem Mörder.
»Vielleicht passt es doch«, sagte Stachelmann. »Wenn es darum geht, dass meine Arbeit nicht erscheinen soll. Die Botschaft des Mörders könnte heißen: Solange du deine Arbeit veröffentlichen willst, fließt Blut. Dass er Brigitte in meinem Zimmer ermordet oder zumindest die Leiche dorthin gebracht hat« – wieder meldete sich der Brechreiz –, »das könnte so einen Sinn ergeben. Dass er Schmid erpresst hat. Aber die Internetkampagne hat er nicht inszeniert. Vielleicht hat sie ihn auf die Idee gebracht, sich gewissermaßen anzuhängen. Auch das ist ein Hinweis dar auf, dass ihm meine Arbeit nicht passt. Aber was? Doch nicht der Mangel an Legendenverehrung. Das hat heute doch keine Bedeutung mehr. Die Stalinisten in Deutschland sind eine lächerliche Sekte, praktisch erledigt.«
»Ich gehe deine Arbeit noch einmal durch«, sagte Anne. »Zeile für Zeile. Du bist wahrscheinlich betriebsblind.«
Er freute sich, dass Anne nun entschlossen war, bei der Mördersuche zu helfen. Ohne sie hätte er den Holler-Mörder nie gefunden. Und bei den anderen Fällen hatte sie ebenfalls geholfen, wenn auch eher unwillig.
»Gut«, sagte Stachelmann. Er wandte sich an Georgie. »Und die Kumpels bekommen auch Aufträge. Vielleicht findet die Kripo den Mörder, vielleicht nicht. Bisher hat sie sich nicht mit Ruhm bekleckert. Aber ich kann nicht herumsitzen und warten, bis mir die nächste Leiche serviert wird« – es würgte, aber leichter als beim letzten Mal – »oder ich selbst dran glauben muss.«
Anne erschrak, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen.
Die Schwester erschien mit einem Tablett, darauf zwei Mahlzeiten, Buletten mit Kartoffelsalat und Erbsen. »Essen Sie, dann kommen Sie schnell wieder auf die Beine.« Wahrscheinlich sagte sie das in jedem Krankenzimmer.
Kaum hatte die Schwester das Zimmer verlassen, trat nach leichtem Klopfen die Mutter ein.
»Geht es dir besser?«, fragte sie. »Der Arzt sagt, es gebe keinen Grund zur Sorge. Du kannst morgen das Krankenhaus verlassen.«
Sie setzte sich auf die Bettkante und nahm seine Hand. »Über all dem habe ich fast vergessen, dass ich dir noch etwas zeigen wollte.«
Er erinnerte sich, er hatte es
Weitere Kostenlose Bücher