Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
inzwischen hatte er in sich Hass entdeckt, der ihn drängte, diesen Killer zu töten, sollte sich ihm die Chance bieten. Wenn er den Mörder jagte oder sich wenigstens einbildete, ihn zu jagen, dann fühlte er sich besser.
[ Menü ]
10
»Du bist also dieser Stachelmann. Gitte hat mir von dir erzählt.«
So zerstritten schienen sie nicht gewesen zu sein. Sie nuschelte ein wenig und sprach leise. Und sie hatte ihn schon geduzt, als er am gestrigen Abend angerufen hatte, um sich mit Karla zu verabreden. Am Samstag, das passe ihr gut. Ja, sie habe gehört, Gitte sei ermordet worden. Auch wenn sie in letzter Zeit nicht mehr viel Kontakt miteinander gehabt hätten, hätten sie sich gemocht. Hin und wieder habe man sich bei Veranstaltungen getroffen. Die Wunden der Trennung seien vernarbt gewesen. Bei ihr jedenfalls.
Karla wohnte in Wandsbek, direkt an der Bundesstraße 75, gegenüber von einem großen Einkaufszentrum. Sie war klein, schlank, recht hübsch mit ihren schwarzen Haaren, kürzer geschnitten als Annes, aber auch mit einem zarten Blauton, wenn das Licht auf ihren Kopf schien.
Von draußen dröhnte der Verkehrslärm. Sie saßen in ihrem Zimmer mit Kochecke, und manchmal ließ ein Lastwagen das Geschirr klingen, als läuteten winzige Glocken. Es stank nach Zigarettenrauch, und sie steckte sich schon die dritte an, seit Stachelmann und Georgie am frühen Nachmittag gekommen waren. Karla musterte ihn immer wieder. Sie hatte grüne Augen.
Georgie hatte bisher nichts gesagt. Er trank grünen Tee aus einem Becher.
Er hatte ihr berichtet von seinen Vermutungen, natürlich in gekürzter Fassung. Kein Wort über Schmid. Aber am Anfang die Frage, ob sie Kraft kenne. Dabei stellte Stachelmann sich vor, wie Halil oder Frankie vor Krafts Haustür herumlungerten. Es schüttete seit dem Morgen.
»Natürlich kenne ich Manni«, sagte Karla leise. »Aber ich mag ihn nicht so, wie Gitte es getan hat.«
»Was ist dieser Kraft?«
»Ist in der DKP, auch in der VVN . .«
»Der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, sagte Georgie und zeigte damit, dass er Stachelmann nicht zutraute, diese Organisation zu kennen.
»Ich weiß«, sagte der. »Im Osten wurde die ja schon früh verboten.«
»Im Westen auch, aber nicht in jedem Bundesland«, sagte Karla. »Inzwischen gibt es sie ja kaum noch. Ist eine biologische Frage. Und die meisten jungen Leute wollen mit den Antifa-Opas nichts zu tun haben. Ist nicht hip.«
Stachelmann mühte sich, sie zu verstehen, zumal sie zum Boden hin sprach, wo ein fleckiger Flokati die Wörter zu verschlucken schien.
»Nur Gitte war anders«, sagte Georgie. »Die wollte alles wissen über die Nazis, vor fünfundvierzig und danach. Sie ist auch mal nach Ostdeutschland gereist, hatte den Kraft vorher ausgequetscht wegen Adressen und Gesprächspartnern.«
»Und als sie zurückkam, war sie ziemlich durch den Wind«, sagte Georgie. »Diese Leute hatten ihr tolle Sachen erzählt über den Schwur von Buchenwald und so weiter.«
»Dass alle Antifaschisten zusammenstehen sollen«, sagte Stachelmann.
»Genau«, sagte Karla, für ihre Verhältnisse fast laut. »Ist ja auch nicht falsch.«
»Sieht man mal davon ab, dass die Stalos immer die Führung haben wollten«, sagte Georgie.
Karla zuckte die Achseln, was sagen sollte, das sei ihr schon immer klar gewesen. Aber deswegen könne sie den Grundsatz nicht falsch finden.
»Und dass die einen Antifaschisten die anderen Antifaschisten ab fünfundvierzig auch in Lager steckten oder ins Gefängnis oder die sowjetischen Besatzer sie nach Sibirien verschleppten, von wo viele nicht zurückkamen.« Georgie sagte es grimmig.
»Und Kraft?«
»Na, der hat dieses Zeug immer noch erzählt. Die größten Opfer, Thälmann, konsequent antifaschistisch, das habe ihn bei der Stange gehalten. Aber wegen Gorbatschow, da sei er fast ausgetreten. Der habe die kommunistische Bewegung ruiniert. Obwohl, alles in der DDR fand er auch nicht gut. Und die Sowjetunion in der Breschnew-Zeit, das sei Niedergang pur gewesen.«
Karla steckte sich eine weitere Zigarette an, sog den Rauch ein, zog die Augenbrauen hoch und ließ sie wieder sinken. »Jedenfalls nervt der Kraft. Aber Gitte ließ sich nicht abschrecken, und er war scharf auf sie, was sie ziemlich gnadenlos ausnutzte. Sie hat ihm Löcher in den Bauch gefragt.«
»Warst du mal dabei?«, fragte Stachelmann.
»Ja. Einmal und nie wieder. Der Typ hat gesabbelt wie ein Wasserfall. Das Imponiergehabe eines Pfaus.«
»Und
Weitere Kostenlose Bücher