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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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gerade erfahren, dass er nicht mehr lang zu leben hatte. Eine unheilbare Krankheit. Wir können nichts mehr tun. Leider, leider.
    Er erhob sich vom Stuhl und ging zur Tür.
    »Herr Dr. Stachelmann, ich hoffe, Sie haben mich verstanden.«
    Stachelmann begriff es nicht.
    »Wir geben Ihnen natürlich Polizeischutz.«
    Das verstand er. Er winkte ab und verließ den Raum. Als würde eine fremde Kraft ihn steuern. Draußen winkte er ein Taxi an den Straßenrand und schaffte es, dem Mann Annes Adresse zu geben. In sich versunken, bekam er von der Fahrt kaum etwas mit. Mechanisch zog er sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche, drücke dem Fahrer einen Zehn-Euro-Schein in die Hand und ging, ohne auf das Wechselgeld zu warten. Der Fahrer schaute ihm nach, dann fuhr er weg. Stachelmann stieg die Treppe hoch wie in Trance, schloss die Wohnungstür auf, betrat den Flur, ließ den Mantel fallen, ging ins Schlafzimmer und warf sich aufs Bett.
    Anne stellte sich in den Türrahmen. »Er hat ein Alibi?«
    »Ja. War im Puff. Lauter Zeugen. Wasserdicht.«
    Anne setzte sich auf die Bettkante. »Das heißt, es geht alles von vorn los.«
    Stachelmann starrte an die Decke. Es geht alles von vorn los. »Ich soll mich raushalten, sagt Taut. Sie geben mir Polizeischutz, mal wieder. Lächerlich.«
    Anne trat ans Fenster. »Da unten steht ein Polizeiauto, zwei sitzen drin und rauchen.«
    »Schick sie weg.«
    »Nein«, sagte Anne. »Es schreckt vielleicht ab.«
    »Der Typ, der herumballert, lässt sich von zwei Polizisten nicht abschrecken. Der sieht das eher als sportliche Herausforderung.«
    »Aber du hältst dich jetzt raus?« Er hörte die Hoffnung in der Stimme.
    »Mal sehen.«
    »Also nicht.«
    »Mal sehen.« Er schloss die Augen und legte die Hände hinter den Kopf. »Ich fahre nachher nach Hause. Wenn alles vorbei ist, komme ich wieder.«
    »Du bist wahnsinnig. Der Kerl hat alle Vorteile auf seiner Seite. Er kennt dich, aber du kennst ihn nicht. Er kann sich Zeit und Ort aussuchen. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, und du bist die Maus. Allerdings hast du den Nachteil, die Katze nicht zu sehen. Josef, du hast allein keine Chance gegen diesen Irren.«
    »Du hättest Taut sehen und hören sollen. Die vollendete Hilf- und Ratlosigkeit. Ich kann nirgendwo sein, ohne Angst zu haben. Soll ich alle Vorhänge zuziehen, die Rollläden runterlassen und nicht mehr an die Tür gehen? Ich gebe zu, ich habe Schiss, so einen Schiss hatte ich noch nie. Aber es ist gerade diese verfluchte Angst, die mir Beine macht. Die Polizisten da unten sind dem Kerl nicht gewachsen. Der kann überall sein. Wenn ich auf die Straße gehe, kann er auf mich warten und schießen. Wenn ich ans Fenster trete, kann er mich genauso erwischen. Im Philosophenturm scheint er sich schon zu Hause zu fühlen. Und bestimmt weiß er längst, wo ich wohne.«
    »Und wenn du weit wegfährst, heimlich?«
    »Du meinst in deinem Kofferraum?«
    »So ähnlich.«
    »Dann werde ich wohl glauben, er fährt uns nach. Was mich verwirrt, ist die Tatsache, dass er im Von-Melle-Park vorbeigeschossen hat. Das ist widersinnig. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Es kommt nur Quatsch heraus. Aber es schließt auf keinen Fall aus, dass er beim nächsten Mal trifft.«
    Sie schwiegen und überlegten.
    »Ich fahre jetzt«, sagte Stachelmann endlich.
    Anne hob die Hände, als müsste sie etwas abwehren. Aber sie sagte nichts, weil sie wusste, es war aussichtslos. Stachelmann hatte es sich in den Kopf gesetzt. Er ging, in Gedanken versunken, in Erwartung der Angst, die ihn packen würde, wenn er das Haus verließ, und verabschiedete sich nicht. Seine Gedanken eilten seinen Schritten voraus. Als er dann auf der Straße stand, fürchtete er, den Dammtorbahnhof nicht zu erreichen. Er hielt seine Aktentasche vors Gesicht, damit die Polizisten ihn nicht erkannten. Wahrscheinlich war das überflüssig. Wie auch immer, der Polizeiwagen blieb stehen. Stachelmann rannte fast zum Bahnhof.
    Bald stand er schwitzend in der Halle, um dann schnell die Rolltreppe zum Gleis hochzugehen. Zwei Stufen mit einem Schritt. Wie sollte er das aushalten? Im Bahnhof wird keiner auf dich schießen. Zu viele Menschen, auch Sicherheitskräfte wegen der Terrorparanoia. Stachelmann bildete sich ein, dass der Mörder von oben schießen müsste. Als die S-Bahn zum Hauptbahnhof einlief, sprang er schnell hinein und setzte sich auf eine Bank, aber nicht ans Fenster, sondern am Gang neben einen alten Mann, der ihn am Fenster deckte.

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