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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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und Zigarettenrauch entgegen. Fast alle Tische waren besetzt, meist junge Leute. Er fand einen freien Tisch im Gang zum Hinterhof, zwischen der Küche, die Tür stand offen, und den Toiletten. Es war düster. Das passt zu deiner Stimmung.
    Ein Kellner erschien, grüßte und fragte nach der Bestellung. Stachelmann hatte ihn schon oft gesehen. Er bestellte mal wieder ein Lammsteak und türkischen Rotwein. Als der Mann es aufgeschrieben hatte und gegangen war, drängte sich Stachelmann ein Gedanke auf. Er wehrte ihn ab, aber der ließ sich nicht abwehren, sondern setzte ihm weiter zu. Wie wäre es, alles hinzuschmeißen, die Habilschrift zu verbrennen und die Uni zu verlassen? Der Gedanke besetzte sein Hirn. Einfach alles hinschmeißen. War es nicht immer das Gleiche? Und gingen ihm nicht die Studenten auf die Nerven, deren Interesselosigkeit er fast schon als aggressiv empfand? Warum sich weiter mit diesen Leuten abmühen, die nicht einmal Teilnahme heuchelten, sondern ihre Tumbheit wie ein Prozessionskreuz vor sich hertrugen? Und war es so erstrebenswert, irgendwann vielleicht einmal Bohming oder einen anderen Ordinarius zu beerben, um sich dann mit Doktorarbeiten und Habilitationsschriften abzuplagen, von denen die meisten besser im Altpapiercontainer landeten?
    Du redest dir das ein, weil du verzweifelst, widersprach er sich. Du hast all die Jahre darauf hingearbeitet, einen Lehrstuhl zu bekommen. Und wenn du dranbleibst, hast du gute Chancen. Hundert Prozent gibt es nirgendwo.
    Aber wenn deine Habilschrift solche Opfer gekostet hat, musst du dann nicht den Schluss ziehen, es sei besser, jetzt auszusteigen, bevor noch mehr Menschen sterben müssen? Machst du dich nicht mitschuldig, wenn du an der Arbeit festhältst, da es ja offenkundig jemanden gibt, der wegen der Habilschrift Leute umbringt? Wenn dieser Zusammenhang besteht, muss ich nur die Habilschrift zurückziehen, und es herrscht wieder Frieden. Gewiss nicht für mich, aber für alle anderen. Ich weiß zwar nicht, wie man eine Habilitation zurücknimmt, aber Bohming wird es herausbekommen.
    Er bewegte diesen Gedanken noch eine Weile hin und her und ließ sich kaum ablenken, als erst der Wein und etwas später das Essen kamen. Er aß langsam, legte immer wieder das Besteck weg, war in sich versunken und begann sich mit der Lösung anzufreunden. Seltsam, er hatte so viele Jahre auf das hingearbeitet, was er nun erreicht hatte, und wie viel Mühe hatte es ihn gekostet, was für eine Qual war es gewesen, welche Hindernisse hatte er überwinden müssen! Er dachte an den Berg der Schande, jene Aktenstapel, die sich in seinem Büro getürmt hatten und immer höher gewachsen waren, weil er es nicht geschafft hatte, sie abzuarbeiten, oder sich nicht getraut hatte. War alles umsonst gewesen? Wenn er die Habilitation verwarf, musste er abgehen von der Universität. Er hatte sich nie etwas anderes vorstellen können als eine Universitätslaufbahn, gekrönt durch den Lehrstuhl. Was könnte er tun, wenn er nicht mehr an der Universität war?
    Das Essen wurde kalt. Er aß einen Bissen, trank einen Schluck, aber es kam ihm vor, als wären seine Geschmacksnerven abgestorben. Stachelmann aß wieder einen Bissen und trank einen kleinen Schluck.
    Was könnte er tun, wäre er nicht mehr an der Universität?
    Seltsam, dass ihm die Vorstellung, die Universität zu verlassen, gleich vertraut war. Er überlegte, was er verlöre außer der regelmäßigen Gehaltszahlung, und fand nichts, was ihm fehlen würde. Seit er an der Hamburger Universität war, wurde er in Verbrechen verstrickt. Gewiss, daran hatte er seinen Anteil. Er hätte sich nicht auf alles einlassen müssen. Nicht auf die Holler-Sache, und das mit Ossis Tod, das war eher ein Selbstfindungstrip als eine Recherche gewesen.
    War er also nur noch an der Universität, weil er keine Wahl hatte? Ein trauriger Zustand. Musste er bleiben, weil er sonst zum Sozialfall wurde? Aber vielleicht schmissen sie ihn sowieso hinaus, verlängerten also seinen Vertrag nicht. Was dann? Es gab arbeitslose Historiker, Professoren, Privatdozenten und Promovierte zuhauf. Die Gesellschaft wollte sie nicht beschäftigen. Das Fach war nicht zukunftsweisend, im wahrsten Sinn des Wortes, und es versprach keine Industrie- oder Handelsgewinne. Jeder Diplomingenieur war wichtiger als diese seltsamen Gestalten, die in der Vergangenheit gruben. Verwertbar war Geschichte im Fernsehen, verkürzt auf Bilder und die ewig gleichen Zeitzeugen, die nichts oder

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