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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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sich.
    »Wie bitte?«, fragte Lula.
    Diesmal schien er zu sagen: »Allen hat Zekes Aufsatz gefallen.«
    »Welcher Aufsatz?«
    »Der über die Familie, die den verfluchten Obstgarten erbt, aber sich von dem Fluch nicht beirren lässt und dabei bleibt, und nichts Schlimmes passiert, und sie ziehen die besten Lämmer auf und ernten die besten Äpfel. Am Ende hatte Zeke hinzugefügt, er habe die Geschichte von einer albanischen Freundin gehört, und es habe ihm klargemacht, wie wichtig es sei, hart zu arbeiten und und bei seiner Überzeugung zu bleiben und zu tun, was man für richtig halte, und wie froh es ihn mache, in einem Land zu leben, in dem die Leute nicht an Flüche glauben. Die Haltung war so positiv. Und der Aufsatz war so gut geschrieben.«
    Zeke hatte ihre Geschichte kopiert. Lula würde ihm möglichst bald beibringen müssen, dass der Diebstahl geistigen Eigentums falsch war.
    »Um ganz ehrlich zu sein«, sagte der Professor, »Zekes Bewerbung gehörte nicht gerade zu den besten. Aber wir gehen hier bei der Aufnahmeentscheidung nicht nur von Noten und Prüfungsergebnissen aus. Der Aufsatz war das Entscheidende.«
    Kein Cent, den Mister Stanley an Lula zahlte, war verschwendet. Und war es denn wirklich so schlimm, wenn Lula Zeke ein paar grundsätzliche Belehrungen über das Verhältnis zwischen Betrug und Überleben erteilt hatte? Sobald Zeke dort war, wohin er wollte, konnte er sich mit der moralischen Thematik auseinandersetzen. Und wie viel wog denn schon ein kleiner innerfamiliärer Diebstahl geistigen Eigentums im Vergleich zu der Tatsache, dass Lulas Geschichte Zeke das Einzige eingebracht hatte, was er anscheinend wirklich wollte? Als Professor Carl endlich damit fertig war, von Zekes Aufsatz zu schwärmen, war Lula beinahe selbst davon überzeugt, dass Zekes Vorgehen nicht als geistiger Diebstahl, sondern als Zusammenarbeit angesehen werden musste.
    Der Professor sagte: »Einer meiner Kollegen hat ihn laut vorgelesen. Der Aufsatz ging im Gremium herum. Er war bei Weitem der interessanteste, den wir bekamen. Ich arbeite Teilzeit im Zulassungsgremium, obwohl ich eingestellt wurde, die zweite Hälfte des Einführungskurses zu halten. Von Machiavelli bis Marx. Wenn man keine Festanstellung hat, macht man alles, worum man gebeten wird.«
    Lula sagte: »Das nenne ich die richtige Einstellung.«
    »Und es sind auch, wie Sie zweifellos wissen, ungewöhnliche Zeiten.«
    Lula wusste es nicht. Seine unausgesprochene Frage (was habe Lula gehört?) erinnerte sie daran, dass Mister Stanley etwas über Probleme auf dem College erwähnt hatte.
    »Auf welche Weise ungewöhnlich?«
    »Die Schießerei offensichtlich.«
    »Welche Schießerei?«, fragte Lula.
    »Immer sind es die Studenten der Naturwissenschaften. Sogar hier, wo wir nicht mal über einen nennenswerten naturwissenschaftlichen Studiengang verfügen. Ich hatte den Jungen nie in meinem Seminar, aber sein Studienberater sagte, er sei ziemlich angespannt gewesen. Ich weiß, das sagen sie immer. Besessen von seinen Noten. Reizbar. Keiner weiß, woher er das Gewehr hatte. Er hat angefangen, im Torhaus rumzuballern …«
    »Wann war das?«
    »Vorletztes Jahr.«
    »Gab es Tote?« Lula hielt den Atem an.
    »Nein, Gott sei Dank nicht. Der Junge konnte nicht zielen. Ein paar unbedeutende Fleischwunden. Der Wachmann hat ihn zu Boden gerungen. Der Schütze wog nur an die vierzig Kilo. Sehr blutig und chaotisch. Traumatisch. Aber zum Glück nicht tödlich.«
    »Was ist mit dem Jungen passiert?«
    »Wurde nach Singapur ausgewiesen. Danach gingen die Studienplatzbewerbungen massiv zurück. Eltern werden nervös. Keiner will glauben, dass der Blitz nicht zweimal am selben Orten einschlägt.«
    Lula nahm sich vor, Mister Stanley die Sache mit dem Blitz zu erzählen, sollte ihm wieder einfallen, was er über Alice Ames gehört hatte.
    Der Professor sagte: »Noch so ein Jahr wie dieses, und unsere Stellen stehen auf dem Spiel. Ich denke, das ist einer der Gründe, warum Zeke so einschlug. Das war genau das, was alle hier gerade jetzt hören wollten: Wenn man weiter das tut, was richtig ist, und es gut macht, verzieht sich das schlechte Wetter, und der Fluch wird von einem genommen.«
    Kein Wunder, dass das College so begierig auf Studenten war, die bereitwillig über ein paar ausgebleichte Blutflecken hinwegtraten, wenn dafür kein Theater um ihre Prüfungsergebnisse gemacht wurden. Lula war um Zekes willen ein wenig gekränkt. Wenn Zeke schon ihren Text stahl, hätte sie

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