Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)

Titel: Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
Vom Netzwerk:
Rauke, Radicchio, Tomate, Gurke, Paprika, Oliven und ein paar Zwiebelringe waren gefällig auf dem Teller angeordnet. Ich seufzte unwillkürlich. Ich hatte nichts gegen Salat, im Gegenteil, als Vorspeise war er mir stets äußerst willkommen. Aber nun, wo er wohl für längere Zeit meine einzige Hauptspeise darstellen würde, fand ich ihn plötzlich irgendwie unattraktiv. Gut, demnächst durfte ich noch fünfzig Gramm gekochte Vollkornnudeln dazu essen, vorausgesetzt, im Salat waren keine Eiweiße versteckt, in Form von Hülsenfrüchten, Schafskäse oder Fleisch, denn dann verstieß ich ja gegen die Gesetze der Trennkost.
    Nun, dieser Salat hier war diesbezüglich völlig einwandfrei. Nur die Oliven pickte Sonja mir vom Teller.
    »Sind zwar gesund, haben aber überflüssige Kalorien«, sagte sie.
    Ja, wenn das so war …
    Es wurde ein trauriges Mahl. Jeder nahm sich nur ungefähr einen halben Esslöffel vom Dressing, und alle ignorierten das duftende, warme Ciabattabrot, das der Kellner in einem Körbchen auf den Tisch gestellt hatte. Alle außer mir. Nichts liebte ich mehr, als Kräuterbutter auf dieses frische, knusprige Brot zu streichen und dann …
    »Nach einer Weile bist du dagegen immun«, versicherte mir Vivi, als sie meine sehnsüchtigen Blicke sah.
    Wir kauten schweigend. Jeden Bissen dreißigmal. Es hörte sich an wie in einem Kaninchenstall.
    »Das A und O ist immer noch die Bewegung«, nahm mein Abnehmscout Nummer eins den Faden schließlich wieder auf. »Ich habe nächste Woche für dich ein Probetraining in meinem Fitnessstudio vereinbart, und gleich morgen fängst du mit Laufen an.«
    »Und du bekommst meinen Slenderton«, sagte Sonja. »Ich benutze ihn in letzter Zeit sowieso nur noch als Kleiderständer. Aber er ist wahnsinnig effektiv.«
    »Deinen was?«, fragte ich alarmiert. »Ah, du meinst dieses Ding mit dem komisch rotierenden Band, das Cellulite wegmassieren soll? Nein, danke, so ein Rüttler hat mir gerade noch gefehlt.«
    »Er bringt unheimlich was, wenn man es regelmäßig macht«, sagte Sonja. »Der Slenderton massiert nicht nur die Cellulite weg, sondern verbraucht auch richtig viele Kalorien. Natürlich nur, wenn man in der Zeit keine Nahrung zu sich nimmt. Um einen Apfel abzutrainieren, muss man sich beispielsweise nur eine halbe Stunde durchrütteln lassen. Das ist weniger anstrengend als Joggen.«
    »Ja, und für eine Pizza sind es dann schlappe sechzehn Stunden«, sagte ich. »Meine Zeit ist ohnehin schon so knapp bemessen …«
    »Das ist ab jetzt eine nicht zulässige Ausrede«, sagte Vivi streng. Ich beschloss ihr dasselbe zu sagen, wenn sie das nächste Mal ihren Job hinwarf.
    »Das Wichtigste ist, dass deine Motivation konstant bleibt«, sagte Carla. »Ich habe dir daher diesen Kalender besorgt, in dem du genau über Erfolge und Misserfolge Buch führen wirst. Für jeden Schokoriegel, den du links liegen lässt, darfst du dir eine Sonne in den Kalender malen. Und für jedes Mal, wenn du Sport treibst, gibt es auch eine Sonne. Und wenn du dich mal nicht dazu aufraffen konntest, malst du dir zur Strafe eine Wolke hinein. Wolken gibt es auch, wenn dich ein Fressanfall überkommt und du irgendetwas in dich hineinstopfst, was dick macht. Jeden Abend zählst du deine Sonnen und Wolken zusammen und machst damit eine Art Wetterbericht. Das ist ungeheuer motivierend und gleichzeitig ein wunderbares Kontrollinstrument.«
    »Ja, das hört sich wirklich wunderbar motivierend an«, sagte ich erschöpft. Beladen mit dem Kalender und Dutzenden von Karteikarten und knurrendem Magen machte ich mich schließlich auf den Heimweg. Ich war sehr nachdenklich. Was war nur passiert? Solange ich mich für normal gehalten hatte, war niemand auf die Idee gekommen, mir Diättipps zu erteilen oder fiese Bemerkungen über meinen dicken Hintern zu machen. Erst ab dem Augenblick, in dem mich Zweifel an meiner Figur überkommen hatten, hatte sich auch die Wahrnehmung meiner Umgebung verändert.
    Oder war es am Ende nur meine eigene Wahrnehmung, die sich verändert hatte? Du bist, was du glaubst, das du bist. Vielleicht war dieser merkwürdige Satz ja wahr. Vor meiner Begegnung mit Boris hatte ich mich für jemanden mit einer schlanken Taille und einem vergleichsweise dicken Hintern gehalten, eine ganz normale, nicht unattraktive Frau mit einer gut tarnbaren Problemzone. Einer Problemzone, die diesen Namen eigentlich nicht verdient hatte, weil ich ja gar kein Problem damit gehabt hatte.
    Jetzt aber fühlte

Weitere Kostenlose Bücher