Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
menschenverachtend«, sagte Carla bitterernst. Sie wollte wohl um jeden Preis ihren Job verlieren.
»Sie müssen unbedingt die Bohnen versuchen«, machte ich einen Versuch, dem Gespräch noch eine lustige Wendung zu geben. Aber dazu war es zu spät.
»Ich und menschenverachtend?«, fragte Birnbaum. »Aber wie kommen Sie denn nur darauf? Finden Sie das etwa auch, Johanna?«
»Sie macht nur Witze«, sagte ich. »Hahaha.«
»Geben Sie’s doch zu«, sagte Carla. Der Rotwein hatte wirklich alle ihre Hemmschwellen niedergerissen. »Für Sie sind Sekretärinnen doch nur Menschen zweiter Klasse.«
Birnbaum sah ehrlich getroffen aus. Ich wusste nicht, wer mir mehr Leid tun sollte: er oder Carla, die sich um Kopf und Kragen redete. Da half nur eins: ein drastischer Themenwechsel.
»Wisst ihr schon das Neuste? In einem früheren Leben habe ich wahrscheinlich mal in der Sahelzone gewohnt«, sagte ich, aber niemand hörte mich.
»Es tut mir Leid, dass Sie so von mir denken«, sagte Birnbaum zu Carla. »Ich dachte, Sie sind so selbstbewusst und kess, dass Sie mir ein bisschen Kritik und ab und an mal einen Scherz nicht übel nehmen.«
»Oder aber ich war bei der Belagerung von La Rochelle dabei«, plapperte ich dazwischen. »Monatelang kam kein Lebensmitttelnachschub in die Stadt. Da mussten die Menschen am Schluss Gras essen. Zuerst starben die kleinen Kinder, dann die alten Leute …«
»Ich habe nichts gegen Scherze«, sagte Carla. »Aber Ihre sind überhaupt nicht komisch.«
»Dann muss ich mir wohl in Zukunft mehr Mühe geben.« Birnbaum erhob sich und stellte den Stuhl wieder an den Nachbartisch. »Schade, dass wir das nicht noch weiter erörtern können, aber meine Freunde sind gerade angekommen.«
Und richtig: An der Tür gaben Annika Fredemann und ein gut aussehendes, junges Paar, dem man Geld und Erfolg schon von weitem ansah, ihre Mäntel ab. Darunter kamen (bei dem Mann) ein Smoking und (bei den Frauen) paillettenbesetzte Abendroben zum Vorschein. Wahrscheinlich kamen sie gerade aus der Philharmonie oder der Oper.
Annika winkte und blinkte zu uns hinüber. Sie sah toll aus, wie immer. Birnbaum schien das auch zu finden, denn er lächelte, wenn auch nicht mehr ganz so fröhlich wie vorhin, als er gekommen war. Offensichtlich war es Carla gelungen, ihm die Laune zu verderben.
Ich lächelte ihn entschuldigend an. »Dieser Rioja hat’s wirklich in sich. Da redet man schon mal dummes Zeug, wissen Sie.«
»In vino veritas est«, sagte Birnbaum und legte mir kurz die Hand auf den Arm. »Jetzt habe ich über dem interessanten Gespräch ganz vergessen zu fragen, was Sie hier eigentlich feiern, Johanna.«
»Feiern?«, wiederholte ich.
»Ja. Sie sehen so ungewöhnlich – elegant aus.«
»Oh, danke, aber es gibt leider nichts zu feiern«, sagte ich. Im Gegenteil. Boris war ja nicht gekommen.
»Steht Ihnen gut, die Haare so hochgesteckt«, sagte Birnbaum. »Und der Lippenstift ist toll.« Er schenkte uns ein letztes George-Clooney-Lächeln und ging, um Annika Fredemann und die beiden anderen zu begrüßen. Sie setzten sich an den besten Tisch gleich vor dem offenen Kamin, den Rosito für seine VIP-Gäste reservierte.
»Uuuuuh«, machte Carla. »Sie sind ja so elegant, Johanna!«
»Steht Ihnen super, die Haare so hochgesteckt«, sagte Vivi.
»Ja, und der Lippenstift ist toll«, sagte Sonja. »Was ist das für einer?«
»Labello«, sagte ich. »Durchsichtig.«
»Uuuuuuuh«, machte Carla wieder. »Marke Natur! Und das Rouge erst!«
Ich beschloss, nicht darauf einzugehen. »Carla, bist du so besoffen, oder hast du dich absichtlich um Kopf und Kragen und deinen Job geredet? Der arme Birnbaum. Da setzt er sich gut gelaunt zu uns, und was machst du? Du wirfst ihm Beleidigungen an den Kopf.«
»Wer austeilt, muss auch einstecken können«, sagte Carla. »Aber gut, vielleicht bin ich wirklich besoffen, und morgen tut mir das alles schrecklich Leid. Habe ich ihn denn richtig beleidigt oder kann man das noch als groben Scherz durchgehen lassen?«
»Nein«, sagte Sonja. »Beim besten Willen nicht.«
»Ich denke, einem Chef, der so gut aussieht, könnte ich manches verzeihen«, sagte Vivi nachdenklich. »Du, Carla, wenn er dich rausschmeißt, meinst du, dann könnte ich deinen Job übernehmen?«
13. Kapitel
B oris war nicht vom Auto angefahren worden. Er hatte eine Mail geschickt, und zwar am frühen Abend, als ich im Badezimmer damit beschäftigt gewesen war, das Beste aus meinem Typ zu machen. Er schrieb,
Weitere Kostenlose Bücher