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Luegen haben huebsche Beine

Luegen haben huebsche Beine

Titel: Luegen haben huebsche Beine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nell Dixon
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stolzierte zum Fenster und riss die Vorhänge auf. »Ich wusste, dass dieser dumme Quatsch aus dem Internet Schwierigkeiten machen würde.«
    »Das ist kein dummer Quatsch. Das ist eine echte Wissenschaft.« Kips Stimme ging so hoch, dass sie quietschte, und sein Adamsapfel bewegte sich auf und nieder.
    »Er hat recht. Ich wollte dir das bisher nicht sagen, aber es ist nicht nur die Sache mit dem Wahrheitsagen, mit der ich Probleme habe. Ich habe da plötzlich auch diese Flashbacks.«
    Charlie drehte sich um und sah mich nun geradewegs an. »Was meinst du damit? Flashbacks?«
    »Seit mich der Blitz getroffen hat, sind da immer diese Bilder in meinem Kopf, sobald ich die Augen schließe oder anfange, mich zu entspannen. Es ist immer die gleiche Szene.« Ich erzählte ihr von den Schuhen.
    Als ich geendet hatte, sank sie auf das Fußende meines Bettes und vergrub ihren Kopf in den Händen. »O mein Gott.«
    Kip zappelte im Türrahmen herum, und seine Bewegungen zeigten mir, wie ängstlich er war.
    »Charlie? Alles in Ordnung mit dir?« Ich setzte mich auf und versuchte, einen Blick in ihr Gesicht zu erhaschen. So hatte ich sie noch nie erlebt, nicht einmal, als ihr bewusst geworden war, dass Mum nicht zurückkommen würde, oder in der Zeit, da wir von Tante Beatrice versorgt wurden, oder sonst irgendwann.
    Charlie war wirklich zäh gewesen, als die Polizei kam, nachdem einem Nachbarn aufgefallen war, dass wir allein waren, und er die Behörden alarmiert hatte. Sie hatte dafür gekämpft, dass wir im Kinderheim zusammenblieben, während die Sozialarbeiter und die Polizei nach einem Verwandten gesucht hatten, der uns bei sich aufnehmen konnte. Ich war damals noch sehr klein gewesen; ich erinnere mich, dass die Leute um mich herum immer schluckten und mich einen »armen kleinen Schatz« nannten. Dann war Tante Beatrice auf der Bildfläche erschienen, und wir durften nicht mehr über Mum reden oder über das, was geschehen war. Jetzt kam alles zurück, all diese schrecklichen, schmerzhaften Erinnerungen kamen zurück.
    Kip zeichnete mit dem Fuß ein Muster in den Teppichboden, so sehr regte er sich auf.
    »Es ist alles in Ordnung, Kip«, versuchte ich, ihn mit einer Stimme zu beruhigen, in der keine Erregung mitschwang.
    »Mum hatte so blaue Schuhe. Das waren ihre besten Schuhe, die hat sie immer nur getragen, wenn sie mit einem Mann verabredet war. An dem Abend, an dem sie weggegangen ist, hatte sie die an.« Charlies Stimme bebte, und sie hielt einen Moment inne, bevor sie weitersprach. »Ich habe sie immer angezogen, wenn ich Verkleiden gespielt habe, und dann habe ich mir auch die Perlenketten umgelegt, wenn sie gerade mal nicht hinsah.« Sie hob den Kopf, und ich sah, dass ihr die Tränen in den Augen standen.
    »Es tut mir leid, Charlie, das wollte ich nicht.« Kip stürzte aus dem Zimmer, und ich hörte, wie er die Badezimmertür hinter sich verriegelte. Ich reichte Charlie die Box mit den Kleenex, und sie weinte sich richtig aus, bevor sie sich die Nase schnäuzte.
    »Er hat sich im Badezimmer eingeschlossen«, sagte sie.
    »Mistkerl. Ich müsste mal ganz nötig pinkeln.«
    Sie grinste mich an und nahm mich in die Arme. »Es tut mir leid. Es überfällt mich manchmal ganz unerwartet. Ich denke nicht mehr oft an Mum oder an das, was ihr zugestoßen sein könnte, aber dann passiert plötzlich irgendetwas, und das löst dann Erinnerungen aus, die mich regelrecht ins Grübeln bringen. Ach, Abbey, was ist ihr denn bloß zugestoßen?«
    Es war lange her, seit Charlie und ich das letzte Mal über Mum geredet hatten. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob das, woran ich mich da jetzt erinnere, irgendeine Bedeutung hat. Ich habe immer geglaubt, dass sie uns niemals freiwillig verlassen hätte.«
    Charlie seufzte. »Das habe ich auch immer gedacht, aber nach der Zeit, die wir bei Tante Beatrice gewohnt haben …« Sie verdrehte die Augen, und es schauderte uns.
    »Sie hat nie ein gutes Haar an Mum gelassen«, sagte ich. Das war eine Untertreibung. Tante Beatrice hatte niemals an irgendjemandem ein gutes Haar gelassen.
    Tante Beatrice hatte es gut gemeint. Sie erzählte jedem, der es hören wollte, dass sie an uns ihre Christenpflicht tat. Der Fairness halber muss man zugeben, dass sie uns kleidete, uns zu Essen gab und wir bei ihr ein Dach über dem Kopf hatten, unter dem wir drei zusammenbleiben konnten. Nur hatte es nie Warmherzigkeit gegeben oder Spaß. Was mit Kip war, hatte ihr auch nie richtig einleuchten

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