Lügen haben rote Haare
Rudolf Kerner notiert, als Zeuge bezeugt POM Günther Grün, der Verräter. Ich benetze mein Gesicht mit kaltem Wasser und beschließe, mich nicht über Fettsack und Konsorten aufzuregen. Gesundheit ist schließlich das wichtigste Gut des Menschen! Sagt Brunis Mutter auch immer. Ich bin dankbar, dass dieser schreckliche Juckreiz nachgelassen hat.
Als wohlerzogene Tochter bleibe ich dem Motto meines Elternhauses treu, Schulden umgehend zu begleichen. Per Online-Banking unterstütze ich die Staatskasse und finde, dass Rudolf Kerner für 585 Euro noch eins auf die Mütze kriegen sollte. Im Online-Telefonbuch finde ich Polizeiobermeister Fettsacks Adresse und entschließe mich, ihm einen Brief zukommen zu lassen. Da es sich um eine persönliche Angelegenheit handelt, wähle ich ein Blatt meines schönsten Briefpapiers, auf den ich wahllos alle bösen Schimpfwörter in Großbuchstaben notiere, die mir einfallen.
Polizistenpopel, blauer Vollpfosten, dummer Wichtelmann, blöder Bulle, Dumpfbacke, blauer Anhalter, schlabbrige Polizistenwampe, impotenter Ampelputzer, dämlicher Zebrastreifentrottel, beleidigte blaue Leberwurst.
Ich rechne kurz durch, 10 x 585 Euro, und freue mich, dass ich soeben 5.850 Euro gespart habe.
Ein Glücksgefühl macht sich in meinem Magen breit, als ich den Brief, natürlich ohne Absender, in den gelben Kasten gleiten lasse.
Weil ich keine große Lust habe, meiner Familie die genaueren Umstände meiner Allergie zu erklären, schiebe ich meinen Ausschlag auf eine neue Gesichtscreme. Conny beugt sich vor; ich lese echtes Mitleid in ihren Augen. Meine Schwester findet, dass ich trotzdem gut aussähe. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass irgendwas im Busch ist, wenn Conny so freundlich zu mir ist. Die Zwillinge staunen, dass man von einer Creme krank werden kann. Scheinheilig will Nanni wissen, wie die Creme hieße. Wir Schmunzeln über die Mädchen, die in Gedanken bereits schulfrei haben.
Conny und ich helfen meiner Mutter beim Kartoffelpellen, Opa Heini und mein Vater enthäuten Fass-Matjes, die wir alle liebend gerne essen. Meine Mutter findet es schade, dass Paul nicht mitgekommen ist. Dann schwärmt meine Familie in großer Vorfreude von dem kommenden Wochenende. Opa Heini will eine Kneipanlage aufsuchen und Kurkonzerte hören, meine Eltern freuen sich aufs Wandern, die Zwillinge bestürmen Conny, mit Gondeln die Berge rauf- und runterfahren zu dürfen. Conny erklärt mit versteinerter Miene, dass Anton nicht mitkommen könne. Er habe geschäftliche Termine. Opa Heini lugt über die Brillengläser und sagt nur ein Wort.
»Auha!«
Conny will beleidigt aufspringen, mein Vater hält sie jedoch fest. »Du musst wieder vertrauen lernen, Conny. Anton hat seine Lektion gelernt.«
Meine Mutter ist derselben Meinung. »Papa hat recht. Vergifte eure Beziehung nicht durch Misstrauen. Freu dich auf das Wochenende und lass Anton in Ruhe seinen Job machen.«
Opa Heini lacht grunzend, ihn scheinen die treuherzigen Ratschläge meiner Eltern zu erheitern. »Wer einmal leckt, der weiß, wie’s schmeckt.«
Conny sieht mich so an, als hoffte sie, dass ich Opa widerspräche. Ich bin dankbar, dass mein Handy klingelt. Ich verschwinde in die Küche, damit ich ungestört reden kann. Bruni erklärt, dass Machungwa heute Abend eine Abschiedsparty im Garten seiner Eltern geben wird, die für einige Tage verreist seien. Schon morgen Mittag werde er seinen Aufenthalt hier beenden.
Seufzend stelle ich fest, dass es erst kurz nach 18 Uhr ist. Ich habe also noch genügend Zeit, mir den Fisch auf der Zunge zergehen zu lassen. Um von Paul und dem Wochenende abzulenken, frage ich Conny nach den neuesten Ultraschallbildern der Zwerge, die sie bereitwillig aus ihrer Brieftasche zieht und herumzeigt. Alle sind verzückt über die schwarzen und weißen Punkte, aus denen nur Conny erkennen kann, was sie bedeuten sollen. Ich erkenne weder Kopf noch Rumpf.
Liebevoll streicht mir meine Schwester über den Arm. »Ach, Karo, wenn es bei euch mal so weit ist, dann erkennst du sogar die Nasenlöcher.«
Conny begleitet mich zum Auto, als ich mich auf den Weg mache. Schnell stellt sich heraus, warum sie mich heute mit Glacéhandschuhen anfasst. Vorsichtig schleicht sie wie eine Katze um den heißen Brei.
»Karo, nur mal rein theoretisch gedacht, könntest du mir zweitausend Euro leihen?«
Ich fasse es nicht. Anton ist ein ›Großmogul‹. Er verdient in einem Monat mehr, als ich auf meinem Sparbuch habe.
»Theoretisch ja, Conny,
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