Lügen haben rote Haare
bin ich raus. Dennoch wird sich herausstellen, dass ich nicht Frau Magnussen bin und keine Zwillinge habe. Noch ist nichts verloren. Vielleicht hat mich Paul Geiger gar nicht wiedererkannt? Ich meine, ich bin ja eher der Typ Nullachtfünfzehn. Zumindest, wenn man sich die roten Haare wegdenkt.
Ich versuche mich abzulenken, indem ich auf Dröpjes schwarzes Jackett starre und anfange, die kleinen Schuppen auf seinem Kragen sowie Schulterpolster zu zählen. Normalerweise finde ich Schuppen ekelhaft, jetzt bin ich dankbar, dass Dröpjes unter Schuppenbefall leidet.
Ich ignoriere Paul Geiger, höre nicht hin, was er von sich gibt. Mein Blasendruck ist mittlerweile so stark, dass ich meinen Zählvorgang unterbreche und mich leise, aber so schnell es geht, in die Kantinentoilette begeben will.
Klar, in den Klamotten und dem puterroten Gesicht falle ich ja gar nicht auf.
Kurz vor der rettenden Tür höre ich Paul Geigers Stimme.
»Machen Sie langsam. Frau … Frau …«
Die Piefke hilft aus.
»Frau van Goch.«
»Frau van Goch«, wiederholt er meinen Namen betont langsam. Der hat mich hundertprozentig erkannt, mir wird ganz flau im Magen.
Nachdem sich meine Blase erleichtert hat und ich in die Kantine zurückgehe, löst sich die Belegschaftszusammenkunft bereits auf. Es bildet sich eine Schlange, denn jeder Firmen-Angehörige bleibt für wenige Sekunden beim Juniorchef stehen, um ihm mit gefühlvollen Worten sein Beileid auszudrücken.
Die Piefke steht mit tränenden Augen wie eine Statue neben Paul Geiger, ab und an tupft sie mit einem Taschentuch Tränen aus den Augenwinkeln.
Bruni steht schon ziemlich weit vorn bei den Wartenden. Ich wage es nicht, mich zu ihr vorzudrängeln, und fühle mich, in der Stunde der Not, schrecklich allein gelassen.
Ich bilde das Rücklicht der Schlange, vor mir stecken Heike Gebauer und Ulrike Assmann die Köpfe zusammen.
»Was für ein Gott von Mann. Jammerschade, dass der auf Kerle steht«, wispert die Assmann.
Heike Gebauer seufzt zustimmend. »Ja, wirklich jammerschade. Für den würde ich freiwillig den Parkettboden wischen.« Noch leiser fügt sie hinzu: »Nackig, in Stilettos.«
Normalerweise hätte ich jetzt geschmunzelt, mir ist aber nicht nach Lachen zumute. Je näher ich Paul Geiger komme, desto unbehaglicher wird mir. Ich überlege, mit welchen Worten ich mein Beileid ausdrücken soll, mir fällt nichts Passendes ein. Jetzt ist die Assmann an der Reihe, ich spitze die Ohren.
Sie sagt sanft und mitfühlend: »Ihr Vater war ein sehr guter Chef, wir aus der Buchhaltung sind alle zutiefst betroffen und werden Ihren Vater sehr vermissen.«
Ja, der Satz ist gut! Mit diesen Worten ist alles ausgedrückt. Jetzt streckt Geiger Junior mir die Hand entgegen, seine hellgrünen Augen ruhen auf meinem Gesicht.
Mit einem festen Griff drücke ich mutig die dargebotene Hand und höre mich sagen: »Ihr Vater war ein sehr guter Chef, wir aus der Buchhaltung sind alle zutiefst betroffen und werden Ihren Vater sehr vermissen.«
Gundula Piefke erwacht aus ihrer Erstarrung und schenkt mir einen schulmeisterhaften Blick.
»Verzeihung«, stammele ich. »Aus dem Sekretariat, wir … ich … aus dem Sekretariat.«
Frau Piefke greift ein. »Frau van Goch war anwesend, als ihr Herr Vater verstarb.«
Wieder führt sie ihr Taschentuch an die Augen.
Geiger lockert den Händedruck, und als ich ihm meine Hand schnell entziehen möchte, greift er wieder fester zu und nickt verstehend, bevor meine Hand endlich wieder meine ist.
»Frau van Goch, wenn ich Sie auf einen Kaffee bitten darf?« Er macht eine einladende Geste Richtung Kaffeebar. »Mir bleiben noch ein paar Minuten, ich werde erst in einer Viertelstunde zum Flughafen gefahren.«
Mit wackeligen Beinen lasse ich mich von ihm zu der Polstergruppe leiten. In meinem Gehirn formt sich eine Gedankenkette. Intuitiv spüre ich, dass er mich erkannt hat. Der Wind muss raus aus den Segeln, und zwar sofort.
Nach 15 Minuten sitze ich wieder an meinem Schreibtisch, der Spuk ist vorbei. Ich kann mir auf die Schulter klopfen. Wenn ich nicht genial bin, wer dann.
Bruni kapiert die Zusammenhänge mit dem Jaguar, der Tusnelda sowie den Zwillingen nicht so recht und ich erkläre ihr nun zum dritten Mal, was sich zugetragen hat. Vor allem, dass Adonis sowie Paul Geiger ein und dieselbe Person seien.
Nachdem sie endlich begriffen hat und pausenlos »Ach du Schande« murmelt, schiebe ich das ›gelbe Hemd‹ aus dem Kakadi hinterher.
»Verdammter
Weitere Kostenlose Bücher